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Interview: Anja Arendt- Redakteurin Egmont/ LYX

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Beitrag von Faraday Mo 14 Sep 2009 - 3:25

Interview mit Anja Arendt, Redakteurin bei Egmont/ LYX

Faraday: Was ist für Sie qualitativ hochwertige Literatur?

Arendt: Das entscheidende Kriterium für literarische Texte ist für mich, nicht gefallen zu wollen. Literatur darf natürlich unterhalten, aber sie sollte auch zum Denken anregen. Eine lebensnahe, schonungslose Authentizität der Gefühle kann für mich literarische Qualität erzeugen. Und natürlich ist die hervorragende Beherrschung der Sprache ein entscheidendes Kriterium.

Faraday: Kann Fantasyliteratur diese Kriterien überhaupt erfüllen?

Arendt: Zu einem gewissen Maß durchaus. Natürlich gehen wir hier von einem Genre aus, das per se unterhalten will, das von gut eingesetzten Klischees und einer gewissen Romantik lebt, aber innerhalb dieses Rahmens ist Spielraum für literarische Qualität. Vielleicht nicht im Sinne klassischer Literaturkritiker; die Fantasy folgt immer ein wenig ihren eigenen Regeln. Unsere Autorin Jacqueline Carey ist ein schönes Beispiel dafür, dass Fantasy auch literarisch sein kann. Sie variiert gekonnt klassische Fantasy-Themen und hebt sich durch eine wunderschöne, manchmal fast poetische Sprache hervor. Der vielbesprochene Patrick Rothfuss wäre ebenfalls in diesem Zusammenhang zu nennen. Auch er erfindet das Genre nicht neu, bringt aber durch seine schöne Sprache und die oft fast weisen Einsichten in die menschliche Natur einen literarischen Charakter in sein Buch.

Faraday: Muss Fantasyliteratur Ihrer Meinung nach überhaupt die Kriterien hoher Literatur erfüllen, sollte man da überhaupt vergleichen, oder gibt es für gute Fantasyliteratur ganz andere Kriterien als für Klassiker?

Arendt: Die Ansprüche der traditionellen Literaturkritik wird Fantasy sicher nie erfüllen, und sie muss es auch nicht. Fantasy bedient ein menschliches Bedürfnis nach Mythos. Nicht umsonst sind die Mythen verschiedenster Völker immer wieder ein Bestandteil der Fantasy. Der Autor und Tolkien-Experte Frank Weinreich sieht im Mythos eine für die menschliche Psyche wichtige Ergänzung zum modernen, rationalen Denken.
Abgesehen davon, stelle ich, wie sicher die meisten Leser, vor allem den Anspruch, gut unterhalten zu werden. Und die Fantasy hat in der Tat ihre eigenen Kriterien: Die hohe Kunst in diesem Genre besteht darin, die richtige Mischung aus Originalität und Konvention zu finden, die traditionellen Motive des Genres gekonnt neu zu verpacken oder gar neu zu erfinden.
Dabei stellen natürlich Leser, die neu in das Genre einsteigen, andere Ansprüche als jemand, der seit 30 Jahren Fantasy liest. Je länger man sich damit beschäftigt, desto weniger verzeiht man ein plattes und uninspiriertes Zusammenschustern klassischer Klischees. Aber darin unterscheidet sich die Fantasy in keinster Weise von anderen Genres wie Krimi oder Thriller.
Aber man darf auch nie vergessen, dass es schon eine Kunst für sich ist, gute Unterhaltungsliteratur zu schreiben. Vor den Autorinnen in unserem erfolgreichen Genre der Romantic Fantasy, die meist absolute Vielschreiberinnen sind, habe ich großen Respekt. Die „Romance“, wie es in den USA genannt wird, ist ein Bereich, in dem man sich in sehr engen Vorgaben bewegen muss. Dies immer wieder auf unterhaltsame und bewegende Weise zu tun ist eine echte Herausforderung.

Faraday: Ist es Ihnen als Verlag wichtig, dass ein Fantasybuch auch eine Botschaft oder Wissen vermittelt oder reicht es aus, wenn es gut unterhält?

Arendt: Wir wollen unseren Leserinnen mit guter Unterhaltungsliteratur Freude bereiten. Wir bieten Bücher, die fesseln, die zum Träumen und oft auch zum Schwärmen anregen. Es ist natürlich schön, wenn es einem Autor gelingt, philosophische Motive oder soziale Themen wie z.B. Toleranz gegenüber anderen Kulturen auf unaufdringliche Weise einfließen zu lassen. Aber es ist kein Muss. Im Bereich des Jugendbuches, das wir zurzeit nur am Rande streifen, ist das ein wenig anders. Dort gibt es eine gewisse verlegerische Verantwortung. Aber auch Jugendliche wollen nicht bevormundet und mit dem Holzhammer belehrt werden.

Allerdings gibt es ein Thema, das wohl von kaum einem Genre so ausführlich behandelt wurde wie von der Fantasy: die Auseinandersetzung mit der Frage nach Gut und Böse. Da gibt es natürlich die Fantasy in der Tradition Tolkiens, die klare Fronten zieht. Aber eben auch zahllose Autoren, die sich mit den Grauzonen beschäftigen, der Ambivalenz der menschlichen Natur. Und dies ist ein universelles Thema, das uns immer beschäftigen wird.


Faraday: Andererseits misst man der lehrreichen Seite von Büchern vielleicht zu viel Bedeutung zu: Kann gute Fantasyliteratur auch darunter leiden, wenn erzwungene Tiefe die Handlung regelrecht erschlägt?
Haben Sie bereits Manuskripte abgelehnt, in denen der kritische, lehrreiche oder philosophische Teil zu groß war und deren Unterhaltungswert dadurch gesunken ist?


Arendt: Zu gewollte Botschaften halte ich in den meisten Genres für fehl am Platz. So etwas kann schnell zum erhobenen Zeigefinger werden. Daher würde ich die erste Frage mit einem klaren Ja beantworten. Ein wenig ist das auch eine Frage des Zeitgeistes. Marion Zimmer Bradley hat ein Frauenbild vertreten, das von einer feministischen Haltung und Neo-Paganismus (Aufnahme vor-christlicher Traditionen) geprägt war. Manche ihrer Bücher wirken heutzutage in ihrer Botschaft recht unsubtil, hatten aber in den 80er Jahren eine sehr starke Wirkung auf die Leserinnen.

Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Ja. Es gibt wirklich viele Menschen, die ein starkes Bedürfnis danach haben, in ihren Texten eine explizite Botschaft unterzubringen und dies in ihrem Anschreiben an den Verlag auch sehr betonen. Natürlich werden die meisten Manuskripte wegen mangelnder Qualität oder mangelnder Kompatibilität zum Programm abgelehnt, aber es kann schon zur Entscheidung beitragen, wie missionarisch der Autor mit seiner Botschaft hausieren geht.

Vielen Dank an Frau Arendt für das aufschlussreiche Interview!

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- Mark Twain

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