Vampire-Das RPG IV

„Gern geschehen“, antwortete Jimena mit einem warmen Lächeln und betrachtete ihren Freund, der sich den Schal um den Hals wickelte. Sie wusste, dass er selbst sicher nicht nach einem solchen Pulli oder einem solchen Schal gelangt hätte. Beides war zwar nicht direkt knallbunt, doch wesentlich farbenfroher als das, was er sonst trug. Und dennoch… „Steht dir“, sagte sie leise und sah dann mit einem etwas verlegenen Lächeln beiseite. Erst da viel ihr wieder das kleine Päckchen ein, dass Casey Aglef gegeben hatte, und der wiederum ihr. Es war ein wirklich ausgesprochen kleines Päckchen, stellte sie fest, während sie das Päckchen leicht in ihren Händen drehte. Behutsam löste sie das Band und öffnete daraufhin den Deckel. Jimena runzelte die Stirn, langte in das Päckchen hinein und zog einen Schlüssel hervor. Schlüssel – zu was? Fragend sah Jimena zu Aglef auf und ließ ihren Blick anschließend weiter zu Casey und Jess wandern.

Angespannt und nervös musterte Jesaiah ihren Verlobten, während dieser sein Geschenk auspackte und den Umschlag öffnete. Ihm war anzusehen, dass er nicht gleich verstand, was er da von ihr bekommen hatte. Zugegeben, es war schon etwas her, dass sie darüber gesprochen hatten. Und wie unwohl sie sich bei dem Gedanken gefühlt hatte… Aber sie hatte sich gebessert. Wenn Casey das gerne einmal ausprobieren wollte, dann würde sie ihm dabei nicht im Weg stehen, sondern ihn darin unterstützen. Jess erwiderte seinen Blick, als er sie freudig angrinste. Dann kam er auf sie zu, lehnte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss, den sie nur zu gerne ebenfalls erwiderte.
„Könntest du. Aber wir sollten vielleicht doch lieber auf später warten“, wisperte sie leise zurück, wobei ein Blitzen in ihren Augen lag. Sie sah wieder nach unten, auf die wunderschöne Haarnadel, die er ihr geschenkt hatte. „Nein. Verkaufen werde ich sie niemals“, sagte sie leise, schloss die Finger behutsam darum und legte sie dann vorsichtig wieder zurück in das Schächtelchen.
Als sie wieder aufsah und er ihr sanft über die Wange strich, bedachte sie ihn mit einem warmen, liebevollen Blick. Kurz huschte er an Casey vorbei, hinüber zu Jimena und Aglef.
„Ich glaube, wir müssen da etwas erklären…“, raunte sie und nickte zu den beiden anderen hinüber.

Die Stimmung war ausgelassen und fröhlich. Das Orchester war wie immer tadellos und hat eine gute Auswahl der Stücke getroffen. Die Tanzfläche füllte sich von mal zu mal, sodass Victoria und Galon sehr schnell nicht mehr die einzigen waren. Lächelnd ließ Victoria ihren Blick schweifen, um am Ende wieder bei ihrem Ehemann zu verweilen. „Es gibt Momente, da denke ich wirklich, ich könnte Gefallen an solchen Veranstaltungen haben. Wenngleich nichts den Moment übertrifft, in dem du mir das Kleid ausziehst…“, flüsterte sie ihm ins Ohr und lehnte sich wieder etwas zurück. Ihre Miene verriet nichts, nur der Blick, mit dem sie Galon ansah, verriet sie kurz. Wie sehr ihr eigentlich zum Lächeln zumute war. Und wie sehr sie sich auf später freute… Doch bis dahin würden sie beide das Beste aus diesem Abend machen. Pflicht war Pflicht.
Beim Eindrehen kurz darauf überflog ihr Blick erneut die Menge und blieb an einer bestimmten Person hängen. „Wie hast du eigentlich Asa dazu bekommen, hierher zu kommen?“, fragte sie leise.

Asa stand abseits der Tanzfläche und trug einen Anzug, den man ihm mehr oder minder aufgezwängt hatte. Damit sah er mit Sicherheit sehr schick aus, festlich, dem heutigen Anlass entsprechend. Nur fühlte er sich überhaupt nicht nach einem solchen Abend. Und er war auch fest entschlossen, heute mit niemanden zu tanzen. Dass er überhaupt hier war, lag an Galon und Mabel, die ihn dazu überredet (genötigt) hatten. Mabel selbst war jedoch nicht hier… Natürlich nicht. Es war vermutlich besser so, so lange die Anhörung und der Prozess noch nicht durch waren.
Gedankenverloren griff er nach einem Glas, als einer der Keller bei ihm ankam und stieß dabei gegen eine andere Hand. „Oh, Entschuldigung“, sagte die Frau rasch und zog ihre Hand wieder zurück und nahm ein anderes Glas. Asa blinzelte, sah die Frau an, deren Gesicht ihm irgendwie bekannt vorkam und nahm dann ebenfalls ein Glas. Wahrscheinlich hatte er sie mal im Clan gesehen, das war alles, dachte er und nippte an seinem Glas.
„Sie arbeiten mit Charles Blackwell und Jael O’Coileáin zusammen. Oder nicht?“
Asa ließ sein Glas sinken und sah wieder zu der Frau hinüber. Kurz kniff er die Augen zusammen und fragte sich, ob Galon dahintersteckte. Hatte der ihm diese Frau auf den Hals gehetzt? Er wollte schon etwas pampiges antworten, als sich die Frau vorstellte.
„Ich bin Sun Lee Park. Charles ist mein… Bruder. Oder wie auch immer man das ausdrückt, in Vampirkreisen… Fühlt sich noch immer seltsam an“, fügte sie leiser und wie zu sich selbst hinzu.
Charles Schwester? „Dann ist Jesaiah Whitfield deine Erschafferin“, schloss Asa daraus und vergaß seine pampige Antwort. Daher war ihm das Gesicht bekannt vorgekommen. Auch wenn er ihr bislang noch nicht häufig begegnet war. Und selbst wenn… Er meinte es nicht rassistisch, aber asiatische Frauen waren in seinen Augen nur schwer auseinander zu halten.
„Ja, genau“, antwortete Sun Lee, lächelte matt und nippte nun an ihrem eigenen Glas.
„Ich komme leider nicht auf Ihren Namen…?“ „Asa. Asa Ramsey“, stellte er sich knapp vor und bedachte sie dann doch wieder mit einem misstrauischen Blick. „Hat Galon gesagt, dass du mich ansprechen sollst? Oder Victoria? Denn, wenn dem so ist-“ „Nein“, antwortete Sun Lee rasch und sah den Älteren verwirrt an. „Wieso sollten sie das? Ich glaube, seitdem ich hier bin, hat Mr. Cynwrig außer einer Begrüßung noch nichts zu mir gesagt. Und Mrs. Cynwrig… nun, ich lerne sie gerade erst besser kennen… Jess hat mir einen Job bei ihr vermittelt…“, sagte Sun Lee und zupfte etwas angespannt an ihrem Kleid herum. So etwas teures hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie getragen. Asa musterte sie und beschloss ihr zu glauben. Fürs erste.

„Es wäre mir eine Freude“, erwiderte Rubina, neigte ihren Kopf leicht und ließ sich anschließend von ihrem Ehemann auf die Tanzfläche führen. Wie sehr hatte sie sich darauf gefreut, neben all der Aufregung. Es war schon so lange her, dass sie beide in einem solchen Rahmen miteinander hatten tanzen können. Vermutlich war ihr letzter gemeinsamer Tanz jener an ihrer Hochzeit. Was nun auch schon ein paar Jahre her war… In ein paar Monaten wären es zwei Jahre. Sie sah Jael mit einem warmen Lächeln an und drückte sanft seine Hand, die ihre hielt und führte.

Als Jimena anfing ihr Päckchen zu öffnen, wurde Aglef auch etwas neugierig. Die Nase tief im Schal vergraben, sah er dabei zu, wie sie das Papier abwickelte und dann einen kleinen Gegenstand aus der Schachtel holte. Einen Schlüssel. Er begegnete ihrem Blick und zuckte mit den Schultern. Sein Bruder hatte zwar gesagt es wäre sein, Aglefs, Geschenk für Jimena, aber er hatte ihm vorher nicht erzählt was es war. Wobei, ruderte Aglef in Gedanken zurück, vielleicht hatte er es doch getan und Aglef ihn nur nicht gehört. Zusammen mit Jimena sah er zu den anderen beiden Turteltauben und verzog leicht die Nase. Konnten sie das nicht für später aufheben, wenn sie unter sich waren?

"Spielverderber", gab Casey mit einem Grinsen zurück, lehnte sich aber gehorsam zurück und wandte sich Jimena und seinem Bruder zu. Die fragenden Blicke waren nicht misszuverstehen; die Überraschung war gelungen. Er warf Jess einen Blick zu, aber die bedeutete ihm nur, dass er das Rätsel lüften sollte. "Das ist ein Haustürschlüssel. Er gehört zu einer Wohnung in der Avenida Fray Albino", sagte er und warf Jimena einen warmen Blick zu. Sie sollte wissen, dass es eine Straße an der San Rafael Brücke war. Jess hatte sie für ihn gesucht, als sie in Cordoba gewesen war. Die Wohnung war wirklich ein Traum von Jess Beschreibungen aus. Casey hoffte wirklich, dass die beiden sich dort einen sicheren Hafen schaffen konnten, zu dem sie zurück kommen konnten.

Galons Lippen zuckten unmerklich, als Victoria das Gespräch in intime Gefilde lenkte. Dabei stimmte er ihr vollkommen zu. Die Veranstaltungen waren notwendig, aber sie in solchen Kleidern zu sehen und das Privileg sie hinterher wieder aus ihnen heraus zu holen machten das mehr als wett. "Ich bin dir da mit Freuden zu Willen. Später", raunte er zurück, während er sie in die Drehung führte. Das Gespräch nahm danach eine andere Wendung, die jedes Lächeln aus Galons Gesicht vertrieb. Sein Blick glitt kurz zum Rand der Tanzfläche, wo er Asa wie einen Tropf stehen sah. Es gefiel ihm wirklich nicht hier zu sein und Galon zweifelte langsam wirklich, ob es tatsächlich die richtige Entscheidung gewesen war. "Das war ich nicht. Mabel hat es am Ende geschafft ihn zu überzeugen", antwortete er und konzentrierte sich wieder auf seine Frau. "Ich hatte gehofft es bringt ihn ein wenig auf andere Gedanken. Und die beiden brauchen einen Moment jeder für sich."

Jimenas Mund klappte ein Stück auf. Avenida Fray Albino? Das war doch… In Córdoba gab es eine Straße, die genauso hieß. Allerdings gab es die sicher auch in anderen Städten. In Spanien. Sie blinzelte und sah wieder auf den Schlüssel, noch immer verwirrt und erstaunt. „Dann… heißt das…?“ „Ich habe mir die Wohnung angeschaut, als wir in Córdoba waren. Ich bin mir sicher, sie wird dir gefallen. Euch“, verbesserte sich Jesaiah und lächelte die zwei an.
Eine Wohnung. Eine richtige Wohnung nur für sie beide. Etwas Eigenes. In Spanien. Jimenas Mundwinkel wanderten langsam nach oben, bis sie Aglef mit einem Strahlen ansah. „Eine Wohnung“, wiederholte sie, fasste nach seinen Händen und gab ihm dabei den Schlüssel. „Unsere Wohnung“. Sie lächelte ihn noch einen Augenblick an, drückte sanft seine Hände, dann fielen ihr ihre Manieren wieder ein. Sie ging zu Casey und Jess hinüber und drückte beide kurz. „Danke!“ Sie hätte so etwa sagen können wie ‚Das wäre doch nicht nötig gewesen‘. War es auch nicht, aber sie wollte es nicht kaputt machen. Jimena wusste viel zu sehr zu schätzen, was die beiden ihnen da geschenkt hatten. Sie kehrte an Aglefs Seite zurück und lächelte diesen warm an.

„Hmmh“, machte Victoria, die Worte ihres Mannes in den Ohren und dachte dabei an Asa und Mabel. Es machte sie noch immer unendlich traurig, ihre beiden Freunde so zu sehen. Nach allem was passiert war… Man könnte meinen, sie wären lange genug getrennt gewesen und müssten jetzt eigentlich jede Sekunde zusammen sein. Eigentlich. Aber seltsamerweise war eher das Gegenteil der Fall. Obwohl sie sich über all die Jahrhunderte geliebt haben, schafften sie nun nicht mehr dort anzuknüpfen, wo sie aufgehört hatten. Zu viel war passiert… Galon und sie, Victoria, hatten Glück. Vielleicht hatte es ihnen geholfen, dass sie irgendwann wieder die Nähe des anderen gesucht hatten… Und dass sie beide so sehr an ihre Liebe festgehalten haben. Allerdings haben sie beide auch nicht durchmachen müssen, was Asa und Mabel erlitten haben…
Victoria seufzte leise und wandte den Blick von Asa ab. „Ich hoffe aufrichtig, dass sie eines Tages wieder glücklich sein werden, miteinander oder jeder für sich…“, sagte sie leise.

Asa bemerkte, wie sie an ihrem Kleid herumzupfte. Sie wirkte ein klein wenig unbeholfen. Ob sie noch jung war? Er versuchte sich daran zu erinnern, ob Jesaiah etwas über ihre Tochter erzählt hatte. Charles hatte sie wohl schon vor langer Zeit verwandelt. Aber diese Frau hier? Er konnte sie nicht vorstellen, dass sie älter als 80 war. Vielleicht 50… oder jünger? Während er noch überlegte, kam ein Mann auf sie zu und forderte Sun Lee zum Tanzen auf, doch sie lehnte höflich ab. Der Mann zog weiter und Asa hob eine Braue. Sie bemerkte seinen Blick und sah beschämt beiseite.
„Ich kann nicht tanzen. Charles hat zwar mit mir geübt, aber… Ich weiß nicht. Ich traue mich nicht…“, sagte sie leise. Vielleicht lag es auch eher an dem Gesamtpaket. Diesem großen, fremden Saal, diese unzähligen, fremden Gesichter, diese Musik (definitiv nicht ihre Generation, geschweige denn ihr Jahrhundert) und die Männer… Sie dachte kurz an Leticia und schluckte. Mit ihr hätte sie getanzt… „Meinetwegen kannst du gerne bei mir stehen bleiben. Ich habe auch nicht vor zu tanzen“, raunte Asa, ließ sein Glas kurz gegen das ihre klirren und trank dann. Ein wenig perplex sah Sun Lee ihn an und nippte dann auch wieder an ihrem Glas. Asa Ramsey. Als er sich vorgestellt hatte, hatte sie ihn wieder einzusortieren gewusst. Seine Freundin war gerade angeklagt, wegen dieser Labor-Sache… Kein Wunder, dass ihm nicht nach tanzen war…

Das Geschenk hatte auch nach Hinten losgehen können. Jimena und Aglef waren jetzt schon sehr lange ungebunden unterwegs und ob sie wirklich gemeinsam etwas aufbauen wollten.. Casey war sich immer noch nicht so sicher, was es eigentlich für eine Art Beziehung war, die die beiden eigentlich führten. Es hätte durchaus sein können, dass weder Jimena noch Aglef eine gemeinsame Wohnung wollten. Jimenas Reaktion zeigte, dass zumindest sie das Geschenk freute. Aglef sah dagegen eher überfahren aus. Tatsächlich saß er mit einem fragenden Gesichtsausdruck und dem Schlüssel in der Hand auf dem Sofa und versuchte zu verstehen, was das bedeutete: eine Wohnung. Er sah auf und in Jimenas lächelndes Gesicht, die sich gerade wieder zu ihm gesellte. Und das entschied es. Sie so glücklich zu sehen war eigentlich alles was er brauchte. Wenn sie das Geschenk so freute, dann würde er schon herausfinden, was er davon halten sollte. Er lächelte leicht zurück und nickte dann auch Jess und seinem Bruder dankbar zu. Casey atmete hörbar erleichtert aus und warf Jess einen aufmunternden Blick zu. Es hatte geklappt!

"So langsam fürchte ich, dass es nicht gemeinsam sein wird", antwortete Galon fast unhörbar. Er machte sich wirklich Sorgen um seinen alten Freund. Vor kurzer Zeit hätte er gesagt, dass das Beste was Asa passieren könnte wäre, dass Mabel noch lebte. Jetzt hatte er sie wieder aber alle beide waren ... nicht dieselben. Und das schien Asa nur noch tiefer in sein Loch gestürzt zu haben. Galon war ratlos, wie er Asas Lebenswillen wecken sollte. Langsam zweifelte er sogar daran, dass es überhaupt möglich war. Der Tanz kam zum Ende und Galon verneigte sich vor seiner Frau mit einem etwas wehmütigen Lächeln. Sie hatten das Privileg den Tanz als erste zu eröffnen, das hieß leider nicht, dass sie den ganzen Abend miteinander tanzen durften. Selbst bei einer internen Feier mussten sie doch einen offiziellen Spießrutenlauf abliefern. "Ich freue mich sehr auf unseren nächste Tanz, der leider eine Weile warten muss", raunte er ihr mit einem Lächeln zu und sah über ihre Schulter. "Es warten tatsächlich auch schon ein paar Todesmutige darauf unter deinem strengen Blick zu versagen." Mit einem Schmunzeln richtete er sich wieder auf in dem vollen Bewusstsein, dass auch für ihn schon eine Schlange an Tanzpartnerinen wartete.

Auch Jael löste sich nur widerstrebend von seiner Frau. Mit einem liebevollen Kuss und einem entschuldigenden Lächeln führte er sie von der Tanzfläche, wurde auf halben Weg aber schon aufgehalten. Ausgerechnet von Damion. Der warf Jael einen kurzen Blick zu und wandte seine Aufmerksamkeit dann ausschließlich Ruby zu. "Darf ich dich zu einem Tanz überreden?", fragte er und setzte sogar ein Lächeln hinzu, wenn auch ein wenig angespannt.

Victoria unterdrückte ein genervtes Schnauben. „Ich werde dafür sorgen, dass es das letzte Mal sein wird, dass sie freiwillig mit mir tanzen wollen“, sagte sie leise, lächelte dann zuckersüß und verabschiedete sich erst einmal von Galon. Sie hoffte, dass es nicht zu lange dauerte, bis sie wieder miteinander tanzten. Während ein Typ sie ansprach und um den nächsten Tanz bat, bemerkte sie aus dem Augenwinkel, wie Asa und Sun Lee miteinander sprachen.

Nach ein paar Minuten tauchte ein Kerl bei ihnen auf, der sehr penetrant versuchte, Sun Lee zum Tanzen zu überreden. Sie hatte Mühe dabei höflich, aber gleichzeitig auch bestimmt genug zu sein, damit dieser Typ endlich abzog. Leider hielt er ihre zurückhaltende Art für Bescheidenheit. Ein Nein, das ein Ja bedeuten musste. Asa stand zwei, drei Schritte daneben, sein Glas war ausgetrunken, weswegen er es gerade abstellen wollte. Eigentlich sollte es ihm egal sein, das war nicht sein Problem, oder? Zuerst war er von der hartnäckigen Art des Kerls beeindruckt gewesen, doch da Sun Lees Unbehagen immer deutlicher wurde, empfand er den Kerl schnell nur noch als aufdringlich. Asa haderte kurz mit sich, dann stellte er geräuschvoll sein Glas auf den Stehstich ab, trat an die Seite der Jüngeren und legte ihr einen Arm um die Schulter.
„Junge, lern mal den Raum zu lesen. Sie ist mit mir hier und hat kein Interesse daran, mit dir zu tanzen, also sieh zu, dass du Land gewinnst.“ Asa lächelte den Kerl an und hatte dabei vermutlich Ähnlichkeit mit einem Hai. Der Typ blinzelte sprachlos, grunzte eine Beleidigung und verzog sich dann endlich. Die Jüngere stieß erleichtert die Luft aus. „Danke. Männer wie ihn… kann ich einfach nicht ausstehen“, sagte sie leise. „Da bist du nicht die einzige“, seufzte Asa, nahm den Arm wieder herunter und bedachte die Jüngere mit einem Seitenblick. „Alles in Ordnung?“ „Hmmh“, machte sie und stellte ihr Glas beiseite. Nur, dass es in ihrem Fall nicht leer war, ihr war nur einfach schlichtweg der Appetit vergangen. Ob es überhaupt irgendjemanden auffiel, wenn sie früher ging…? Jess meinte zwar, sie solle hier sein, ein bisschen bis Victoria Cynwrig und ihrem Mann, dem großen Boss, reden, wegen des Jobs, aber…
Sie kam ihm jung vor, dachte Asa, und sah sich dann im Raum um. Von Jess fehlte jede Spur. Von ihr wanderten seine Gedanken weiter, zu Casey und Aglef. Wie es Aglef wohl ging? Wegen der Sache mit Mabel hatte er kaum an etwas anderes denken können… Asa zog das Handy hervor und rief Aglefs Nummer auf. ‚Hey, es tut mir leid, dass ich mich die letzten Tage nicht bei dir gemeldet habe… Ich konnte gar nicht mehr mit dir reden, bevor du die Stadt verlassen hast. Es tut mir leid, wegen der Sache mit Mabel, dass sie in das Ganze involviert ist oder war…Ich hoffe, es geht dir gut. Lass uns bald mal reden. Asa‘. Er schickte die Nachricht ab, machte dann noch ein Bild und schickte es hinterher. ‚Galon hat mich genötigt, auf dem alljährlichen Ball an Heiligabend teilzunehmen…‘, schrieb er dazu und schickte dann beides ab.

„Damion?“ Rubina blinzelte kurz überrascht von dem plötzlichen Auftreten ihres Erschaffers. Sie tauschte einen kurzen Blick mit Jael, um sich zu vergewissern, dass er für ihn Ordnung war, ehe sie sich Damion zuwandte und nickte. „Du darfst“, sagte sie, drückte Jaels Arm kurz, ehe sie ihn losließ und stattdessen Damions Hand nahm. Sie ließ sich von ihm zu einer geeigneten Stelle führen und nahm daraufhin mit ihm die Position ein. „Ich hoffe du weißt, sollte deine Hand an eine Stelle rutschen, wo sie nichts zu suchen hat, wirst du dich von ein, zwei Zehen verabschieden“, raunte sie mit einem schiefen Lächeln, zwinkerte und wurde danach etwas ernster. „Wie geht es dir?“ So weit sie gehört hatte, war Phyllis noch nicht wieder zurück nach London gekehrt, Jupiter war nach wie vor in Italien bei Francesca und Jess war bei Casey. Mit anderen Worten, die Gefahr, dass Damion eine Dummheit beging, war ziemlich, ziemlich hoch…

Sie saßen ein wenig beisammen, sahen immer wieder zu dem geschmückten Baum hinüber und genossen die Ruhe. Es fühlte sich wie Familie an, dachte Jess und war froh, dass sie hier war, dass sie alle hier waren, in diesem Haus, das irgendwie der Anfang war. Lächelnd erzählten sie und Jimena ein wenig von Spanien, bis irgendwann die Ältere vorschlug, noch etwas Blut aufzuwärmen. Sie verließ das Wohnzimmer und ging in die Küche. Jess sah ihr nach und setzte sich dann neben Aglef. „Mein Weihnachtsgeschenk hast du ja schon bekommen“, sagte sie leise und nickte in Richtung der Tür, durch die Jimena eben verschwunden ist.
„Ich hoffe, dass du es deinem Bruder nicht vorwirfst, oder mir, dass wir Jimena eingeweiht haben. Dass sie jetzt hier ist. Ihr beide… ihr habt etwas Besonderes. Ihr gehört zusammen. Und ich hoffe, dass du irgendwann der Mann sein kannst, den du dir selbst für Jimena wünscht“, sagte sie leise und sah Aglef mit einem matten Lächeln an. „Wir beide… sind in manchen Dingen ähnlicher als du vermutlich weißt.“ Sie waren zumindest beide zum Äußersten bereit (oder bereit gewesen), um die Person, die sie lieben, vor einem selbst zu schützen…

Damion schluckte die Beleidigung, dass Ruby erst einmal ihren Mann - ihren verdammten EHEmann - um Erlaubnis fragte mit ihm tanzen zu dürfen. Er war ihr Erschaffer, Herrgott! Sie hatte ja schließlich auch nicht ihn gefragt, ob sie den staubtrockenen Langweiler heiraten durfte. Er führte seine Tochter auf die Tanzfläche und knirschte mit den Zähnen über ihre Drohung. Ihre Unbeschwertheit konnte er dabei nicht teilen. Sie kam aber auch schnell auf den Teil zu sprechen, der ihm im Moment die Stimmung deutlich verhagelte. Wenn sie danach fragte, wie es ihm ging, wollte sie eigentlich wissen, wie es ihren Schwestern ging, die sich rar machten. Oder zumindest nichts mit ihm zu tun haben wollten. "Was denkst du, wie es mir geht?", fragte er mit einem zuckersüßen Lächeln und sah über Rubys Schulter düster seinen Erschaffer an, der gerade die nächste Partnerin zum Tanz aufforderte. "Ich sitze hier meine Zeit ab und erfülle meine Pflichten. Dabei bin ich natürlich voller froher Dinge und kotze Regenbögen", führte er weiter aus und sein Lächeln wurde bissiger.

Aglefs Blick glitt hinter Jimena her und er fühlte sich tatsächlich einsam, als sie nicht mehr zu sehen war. Dabei war er ja kaum alleine in einem Raum mit Jess und seinem Bruder. Auch wenn die beiden sehr gut vergessen konnten, dass noch andere Personen anwesend waren. Seine Gedanken wurden von Jess unterbrochen, als sie sich neben ihn setzte und mit ihm sprach. Er schüttelte leicht den Kopf, auf ihre erste Frage. Obwohl er nicht begeistert gewesen war, als sie angekommen waren, hatte er schnell einsehen müssen, dass Jess da die richtige Entscheidung getroffen hatte. Und Jimena auch davon profitierte bei ihm zu sein. Auch wenn er immer noch einiges an Furcht davor hatte, was es für Jimena bedeutete, dass sie zusammen gehörten. Ihr Wunsch für ihn, schien ihm da merkwürdig erschreckend. Wie sollte er es jemals schaffen auch nur ansatzweise der Mann zu sein, den Jimena verdiente? Seine Neugierde war allerdings größer. Als sein Bruder aufstand und ankündigte Jimena zu helfen, wandte er sich Jess zu. "Wie das?", fragte er und sah sie unverstehend an. Jess war ein so lebensfroher und kontrollierter Mensch, wie konnte sie da bloß der Meinung sein ihm ähnlich zu sein?

Ohje, dachte Rubina und verfluchte ihre Geschwister, die sich alle rar gemacht hatte, sodass sie hier nun mit Damion allein war. Dieser hatte wirklich eine ausgesprochen schlechte Laune… Was sie bedingt auch irgendwie nachvollziehen konnte. Er hatte es in letzter Zeit einfach nicht leicht… Wenn sie da an Phyllis, Jupiter und natürlich an Jane dachte… Arme Jane. Ihn hier jedoch zu bemitleiden, würde ihm auch nicht helfen. Wahrscheinlich würde es ihn nur noch ärgerlicher machen. „Es wird besser werden, da bin ich mir sicher. In letzter Zeit war einfach… viel los. Vielleicht solltest du ein bisschen reisen? Tapetenwechsel und so, was meinst du? Früher warst du doch auch öfters und länger außerhalb Londons“, sagte sie und dachte nicht zuletzt auch an jene Zeit, als Damion viel in den USA gewesen war. „Oder will Galon, dass du hier bleibst?“

Jess nickte, lächelte und sah Casey nach, der das Wohnzimmer verließ, um nach Jimena zu sehen und ihr zu helfen. Sobald ihr Freund den Raum verlassen hatte, stellte Aglef seine knappe Frage. Aus dem Augenwinkel schaute sie kurz zu dem anderen hinüber und lehnte sich dann auf dem Sofa zurück. „Nun“, fing sie an und überlegte, wie sie es erklären sollte. Sie atmete tief ein und sah wieder zur Tür. „Widersprich mir, sollte ich falsch liegen, aber wenn Jimena wie Casey wieder ein Mensch geworden wäre… hättest du ihr dann nicht auch vielleicht gewisse Erinnerungen genommen? Oder hättest dich selbst aus ihrem Gedächtnis gestrichen, weil du überzeugt davon wärst, sie wäre ohne dich besser dran? So wie ich Caseys Erinnerungen manipuliert habe…“ Jess stieß die Luft aus und wandte ihr Gesicht Aglef zu. „Ich war der festen Annahme, dass es ihm ohne mich besser ginge. Dass ich ihn am Ende nur unglücklich machen würde, aus den verschiedensten Gründen. Und es lief damals ja auch nicht gut zwischen uns… es war sehr holprig. Ich dachte, er hätte etwas Besseres verdient… Letztendlich gibt es nichts in meinem langen Leben, das ich so sehr bereue. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan… Aber ändern kann ich das nicht mehr. Es hat etwas gedauert, bis wir wieder zueinander gefunden haben… und ich hatte mir geschworen, mich anzustrengen… um die Frau zu werden, die Casey verdient hat.“ Jess faltete die Hände im Schoß und lächelte schief. „Entschuldige für den Monolog. Das ist nur mein Eindruck… dass wir in der Hinsicht gar nicht so unterschiedlich denken… vermutlich“, raunte sie und zuckte mit den Schultern.

Damions sarkastisches Grinsen sagte wohl alles. Sie war Jung und hatte alles was sie wollte, natürlich dachte sie, dass alles besser werden würde. Für ihn? Es war eigentlich dieselbe Scheiße Tag ein, Tag aus. Der Hamster drehte sich immerfort im Kreis und es gab keinen Weg hinaus. Selbst Reisen hatte keinen Reiz. "Lass gut sein, Kleine. Du musst mir keinen Honig um's Maul schmieren. Und Galon wäre mich nur zu gerne los. Wenn er nicht so viel Angst davor hätte, was ich seinem guten Ruf antun würde", antwortete er ihr und musste sich zwingen im Takt zu blieben. Eine Szene auf der Tanzfläche würde auch nicht helfen und Ruby traf ja auch keine Schuld. Im Grunde war sie die einzige, die überhaupt noch halbwegs freundlich mit ihm sprach. "Hör bitte nie auf wenigstens eine halbwegs gute Meinung von mir zu haben, okay?", bat er nach einem schweigenden Moment halbwegs flehend.

Jess Antwort ließ Aglef etwas atemlos zurück. Sie hatte Recht. Bisher hatte er nicht dran gedacht, aber ja. Wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, er hätte Jimena jegliche Erinnerung an ihn genommen. Wenn er ein bisschen weniger in Panik gewesen wäre, hätte er sich so tief in irgendeinem unbekannten Loch verkrochen, dass Jimena nie wieder ein Haar von ihm gesehen hätte. Sie waren sich nicht nur ein wenig ähnlich, Jess und er waren sich sehr ähnlich. Nach einem Moment schüttelte er den Kopf und legte Jess kurz eine Hand auf das Knie. "Zum Glück sind unsere Partner schlauer als wir", antwortete er ihr leise mit einem kleinen Lächeln.

Rubina müsste schon lügen, würde sie behaupten nicht zu verstehen, warum Mr. Cynwrig nicht so gut auf seinen Sohn zu sprechen war. Damion hatte sich in der Vergangenheit einige Schnitzer geleistet, ohne wirklich etwas Positives für den Clan zu leisten, zumindest gemessen an… Nun, außer einen Haufen von Frauen zu verwandeln, hatte er eben nicht wirklich etwas zum Allgemeinwohl beigetragen. Und ja, er machte oft auch dumme und unüberlegte Dinge… das hieß jedoch nicht, dass er ein schlechter Kerl war. Denn das war er nicht. Er war chaotisch und kompliziert, aber ein Kerl, der das Herz am rechten Fleck hatte.
Rubina konnte nicht sagen, was es war, ihr Blick, ihre Mimik, irgendetwas, das Damion ihre Gedanken verriet. „Damion“, fing sie mit einem vorwurfsvollen Unterton an. „Natürlich werde ich das nicht! Und ich bin auch ganz sicher nicht die Einzige, die eine halbwegs gute Meinung von dir hat“, griff sie seine Formulierung auf und drückte sanft seine Schulter beim Tanzen.
„Ich weiß, die anderen melden sich gerade nicht bei dir und sind nicht hier- Das heißt aber nicht, dass sie alle schlecht von dir denken. Oder… ausschließlich schlecht“, fügte sie leiser hinzu.
Rubina räusperte sich und versuchte es noch einmal anders. „Schau mal… ohne dich, wäre ich nicht hier. Und ja, ich weiß, es wäre dir lieber, ich wäre nicht mit Jael verheiratet, aber ich bin sehr, sehr glücklich mit ihm und ich liebe meine kleine Tochter über alles. Und das verdanke ich alles auch dir. Danke“, sagte sie und schenkte Damion ein warmes Lächeln.

Einen Moment blinzelte Jess etwas überrascht über die Geste des Älteren. Normalerweise mied Aglef jede Berührung, es sei denn es handelte sich um Personen, die ihm sehr vertraut waren und die er mochte, wie Jimena, Casey und vielleicht noch Rubina. Jess hatte sich bisher nicht wirklich dazugezählt… Dass er sie von sich heraus jedoch gerade am Knie berührte, war vielleicht ein Anfang? Jess erwiderte das kleine Lächeln, nickte ein, zweimal und seufzte dann. „Ja. Mit Jimena hast du sicher Recht. Aber mit Casey? Er… glänzt momentan nicht gerade durch schlaues Verhalten…“, antwortete sie mit gesenkter Stimme und sah etwas bedrückt drein. Sie dachte da an ihr Gespräch von vor ein paar Tagen. Dass er anfangs wieder versucht hatte, alles vor ihr zu verheimlichen… Er hatte dann zwar noch den Bogen gekriegt und hatte mit ihr geredet, aber… sie war sich nicht sicher, ob es das letzte Mal bleiben würde. Vermutlich nicht.
„Wird schon. Ich bin wohl die letzte, die in einem Glashaus mit Steinen werfen sollte“, sagte sie und lächelte Aglef matt an.

Rubinas Worte waren dazu gedacht ihn aufzubauen, aber nicht einmal sie konnte die Wahrheit wirklich positiv aussehen lassen. Vielleicht dachten sie nicht alle ausschließlich schlecht von ihm und Ruby war sicherlich jetzt froh darüber, dass er sie verwandelt hatte. Aber das galt eben nicht für immer. Gemessen an der Art, wie er sie verwandelt hatte, war es vermutlich eher ein Wunder, dass sie überhaupt gut von ihm dachte. "Die einzigen, die wirklich zufrieden mit mir sind, sind die Zwillinge", schnaubte er nach einem Moment und sah mit einem ironischen Lächeln weg. "Und das auch nur, weil sie kein weiteres Interesse an mir haben. Ein Glück für sie vermutlich. Oder für mich. Wer weiß auf welche Ideen sie sonst kommen würden, was ich ihnen nicht alles angetan habe", murrte er leise und schüttelte dann über sich selbst den Kopf. Vielleicht hatte Ruby Recht und er musste einfach mal raus. Den ganzen Mist hinter sich lassen und neu anfangen. Aber wo konnte man heute überhaupt noch wirklich untertauchen, wenn man nicht in das letzte hinterweltlerische Kaff verschwinden wollte? Der Tanz kam zum Glück zu einem Ende, ehe Ruby ihm weiter ins Gewissen reden oder ihm irgendwelche Versprechen abnehmen konnte. Nicht bereit sie an irgendwelche anderen Kerle abzugeben, führte er sie daher zum Rand der Tanzfläche, wo genug helfende Hände mit Getränken bereit standen, sollte jemand eine Erfrischung benötigen. "Kann ich dir etwas bringen?", fragte er, als sie zum stehen kamen und Damion auch noch nicht völlig willig war sie stehen zu lassen.

Aglef zog seine Hand wieder zurück und zuckte mit einem halben Lächeln die Schultern. "Er hat Angst", antwortete er schlicht, gerade als sein Bruder und Jimena wieder in den Raum kamen. Beide hatten Gläser in den Händen, die sie dann an die anderen austeilten.
Casey warf Jess einen fragenden Blick zu, als er sie so nah neben Aglef entdeckte. Vermutlich hatte sie versucht ihn ein bisschen aufzubauen. Oder ihm den Schock über das Geschenkt ein wenig zu glätten. Casey war einfach neugierig ob sie etwas erreicht hätte. So wie Aglef Jimena ein dankbares Lächeln zuwarf und einen Schluck aus dem Glas nahm, hatte sie das wohl. Die Frage blieb eher, wie sie es geschafft hatte. "Der Abend ist noch jung. Haben wir noch was vor?", fragte er und ließ sich zurück in seinen Stuhl plumpsen.

Es war offensichtlich, dass ihre Worte ihn nicht milde stimmten. Damit war Rubina leider auch mit ihrem Latein am Ende. Wenn Jess nur hier wäre, sie hätte vielleicht eine Idee und könnte Damion sicher aufmuntern… oder ihn auf 180 bringen, dachte Ruby. Vielleicht doch besser, dass sie nicht da war. Nur leider brachte diese Erkenntnis die Jüngere auch nicht weiter. „Nimm es mir nicht übel, aber die Zwillinge sind ohnehin… speziell. Und eigenwillig. Es ist sicher besser, dass die ihr eigenes Ding durchziehen und sich nicht melden.“ Rubina schenkte Damion ein mattes Lächeln, der sie nach dem Tanz wieder an den Rand der Tanzfläche führte. „Gerne“, antwortete sie ihrem Erschaffer und drückte kurz dessen Hand.

„Wer hat die nicht“, entgegnete Jess mit einem milden Lächeln und sah auf, als Casey mit Jimena zurückkehrte. Sie bemerkte den fragenden Blick ihres Freundes, erwiderte darauf jedoch nur ein fröhliches Lächeln und nahm kurz darauf dankbar ihr Glas entgegen. Sie nippte an dem Blut und sah über den Rand hinweg kurz zu Aglef und Jimena. Die Ältere reichte ihrem Freund ein Glas und setzte sich wieder neben ihn. Jess hoffte sehr, dass die beiden glücklich werden würden. Sie wünschte es sich sehr, für beide, für Jimena und für Aglef. Sie hatten es sich beide mehr als verdient… Jess ließ ihr Glas sinken und sah zu Casey hinüber, nachdem dieser seine Frage gestellt hatte. „Wir? Ich glaube, du musst bald ins Bett“, stichelte sie und knuffte ihn leicht mit einem amüsierten Blick. „Was hattest du denn im Sinn? Wir können zusammen einen Film schauen, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob wir einen finden, der uns alle interessiert… Oh, wie wäre es mit einem Spiel? Ich meine, ich habe mal ein paar gekauft… Warum auch immer“, fügte sie leiser hinzu. „Oh, ich finde, das ist eine gute Idee“, raunte Jimena und sah lächelnd in die Runde.

Damion schnappte sich einen der Kellner und organisierte Ruby und sich etwas zu trinken. Als er zurück kam waren eine Menge Pärchen in der Auflösung und dabei sich neu zu formieren. Dadurch war recht viel Bewegung im Raum. "Hier", grummelte er leise und reichte Ruby das Glas. Während er aus seinem trank, bemerkte er aus dem Augenwinkel, wie jemand näher kam den er ganz gewiss nicht treffen wollte. Jael umschiffte mit besorgter Miene die übrigen Gäste, ganz offensichtlich auf der Suche nach seiner Frau. Damion verzog das Gesicht und wandte sich Ruby zu. "Tschuldige, aber ich muss dich jetzt verlassen", sagte er und wartete nicht ab, was sie antworten würde. Er verzog sich in eine ruhigere Ecke um mit wütenden Blick all die fröhlichen Vampire zu betrachten. Sollten sie doch alle an ihrer Freude ersticken.
Die Frau, die ihn von der Seite mit einem sarkastischen Spruch ansprach war ein wirklicher Hingucker, das musste Damion zugeben. Er ließ sich dazu hinreißen ein bisschen Geplänkel mit der Vampirin zu tauschen und als sie mit einem abenteuerlustigen Lächeln fragte, ob sie die Feier nicht verlassen wollten, stimmte er zu. Alles war besser, als sich den ganzen verdammten Zirkus hier weiter anzuschauen. Also verdrückte er sich mit der Frau, deren Namen er nicht einmal kannte. Was auch absolut nicht notwendig war für das, was sie vorhatten. Die Gegend, in die die Frau ihn führt, wurde allerdings merkwürdiger. "Sieht eher aus, als wolltest du in eine Lagerhalle, als in ein Hotel. Du bist wohl nicht von hier. Vielleicht kann ich dir mit der Orientierung helfen", scherzte Damion mit einem breiten Grinsen. Die Vampirin erwiderte das Lächeln nicht, sondern öffnete eine Tür. "Ich weiß schon, wo ich bin, Süßer", sagte sie bloß und verschwand im Eingang. Verdutzt folgte Damion der Frau und sah sich dann wirklich verwirrt um. Das war eindeutig ein Arbeitsgebäude, die Büroatmosphäre war greifbar. Zweifel regten sich in Damion. In was hatte er sich da eigentlich gerade wieder reinmanövriert? Und gerade, als er das Schlaue tun und einfach gehen wollte, stürmten von verschiedenen Seiten Personen auf ihn ein. Es wurde laut und verwirrend und ehe Damion sich orientieren konnte, bohrte sich ein brennender Schmerz in seine Schulter. Was auch immer die Leute waren, sie schossen mit Silber. Er sah eine Lücke, rammte eine der Personen aus dem Weg und verschwand im Gewirr der Gänge. Damion hatte keine Ahnung, wo hier ein Weg raus wäre und schlug sich auf gut Glück durch, wobei es nicht gerade half, dass er verfolgt wurde. Irgendwann kam er in einem Raum an, der nach Lager aussah und die einzige Tür, die er finden konnte, war eine Stahltür am anderen Ende. Sie führte in einen geschlossenen Raum ohne Fenster oder Luken. Eine Sackgasse. Damion wollte schon wieder raus, als er hörte wie von Außen ein Riegel einrastete. "Wir haben ihn!", drang es gedämpft durch die dicke Tür. "Verdammt!", knurrte Damion und schlug fest gegen die Tür, in der eine Delle zurück blieb. Dann fluchte er über den Schmerz, der durch seine Schulter schoss. Verdammtes Silber! Der Schmerz verjagte ein wenig von der Wut aus seinem Kopf und er sah sich den Raum genauer an. Dabei bemerkte er auch, dass es hier verdammt kalt war. Ein Kühlraum. Das ungewöhnlichste war allerdings das Mädchen, dass sich hinter einem der Regale versteckte und ihn verängstigt ansah.

Sie hatten sich auf ein Strategiespiel geeinigt, dass sie alle kannten (außer Aglef). Es dauerte nicht lange, da wusste Casey, dass Jimena und er keine Chance hatten. Aglef war erschreckend zielstrebig und lernte die Regeln im Handumdrehen und Jess.. Jess war schon immer ehrgeizig gewesen. Nur kurze Zeit später hatten die beiden Jimena und ihn aus dem Spiel geschmissen und kämpften verbissen um den Sieg. "Man könnte meinen, ihre Leben hängt von diesem Spiel ab", raunte Casey Jimena mit einem Lachen zu und stand auf um die Gläser zurück in die Küche zu räumen. Wenn sie nichts tun konnten, konnte er ja schon einmal für ein bisschen Ordnung sorgen. Aglef und Jess könnten noch Stunden beschäftigt sein, am Ende würde es sowieso an Casey hängen bleiben, wenn er als einziger Tagsüber wach war. "Kann ich dir noch etwas gutes tun, während unsere besseren Hälften sich bekriegen?", fragte er Jimena, die noch interessiert den beiden Kontrahenten zusah.

„Miss Lahri“ Neha blieb stehen und drehte sich mit einem Lächeln um. Eigentlich hatte sie gerade nach Hause gewollt und hatte den Raum angesteuert, in dem sich ihre Tasche und ihr Mantel sich befanden. Dann war leider Mr. Richards aufgetaucht. Sie kannte den Typen zum Glück hauptsächlich aus der Ferne. Er stand über ihr und arbeitete an irgendeinem Projekt, über das nicht gesprochen wurde. Aus diesem Grund machte sie sich auch erst gar nicht die Mühe, ihn zu verbessern, was ihren Namen betraf. „Mr. Richards, ich dachte, alle anderen wären schon gegangen“, sagte sie freundlich. „Die meisten, aber nicht alle, Miss Lahri! Sie sind nicht die einzige fleißige Biene hier“, antwortete er mit einem Zwinkern und winkte sie zu sich.
„Hören Sie, können Sie mir einen Gefallen tun? Könnten Sie hier die Proben noch nach unten bringen? Der Kollege hat vergessen, sie runter in den Kühlraum zu bringen, bevor er ging“, sagte er und deutete auf einen durchsichtigen Kasten, in dem sich verschiedene Proben befanden.
Neha unterdrückte ein Seufzen, lächelte tapfer weiter und nickte. „Sicher. Ich kümmere mich darum.“ „Ich wusste, auf Sie ist Verlass“, sagte er und damit wandte er sich um.
Neha schob ihren Ärmel zurück und warf einen Blick auf die Uhr. Die nächste Tube würde sie nicht mehr bekommen… Sie nahm den Kasten an sich und steuerte den Fahrstuhl an.
Fünf Minuten später betrat sie den Kühlraum und überprüfte die Nummer am Kasten, anhand derer sie wusste, in welches Regal und in welches Fach der Kasten mit den Proben musste. Neha ging in den hinteren Teil des Kühlraums, machte das richtige Regal ausfindig und räumte kurz danach den Kasten weg. Geschafft. Neha seufzte, trat von dem Regal zurück, als sie auf einmal hörte, wie die Tür aufgerissen wurde. Erschrocken zuckte sie zusammen und verharrte auf der Stelle. Kurz darauf hörte sie ein Geräusch, Stimmen und im nächsten Moment ein Fluchen. Neha presste die Hand auf den Mund und wich zurück. Was war hier los? Es folgte ein lautes Hämmern gegen die Tür. Was sollte sie tun!? Sich verstecken? Warten? Nehas Herz raste so heftig, dass sie befürchtete, dass man das Pochen am Ende noch hören konnte. Was natürlich Unsinn war.
Dennoch dauerte es nicht lange, bis der Eindringling sie bemerkte und sich ihre Blicke trafen.
Nehas Körper versteifte sich kurz vor Schreck, dann trat sie zaghaft hinter dem Regal hervor.
„Ist… ist etwas passiert?“, fragte sie und musterte den Kerl. Irritiert stellte sie fest, dass er einen Anzug trug, als wäre er auf einem Bankett oder einer Gala gewesen. Sein Gesicht kam ihr zudem nicht bekannt vor – arbeitete er überhaupt hier? „Hören Sie… ich weiß nicht, was hier los ist, aber ich war auf dem Weg nach Hause und bin hier fertig. Wenn Sie mich also durchlassen-“, sagte sie, kratzte alles, was sie an Selbstbewusstsein hatte zusammen und zupfte ihren Laborkittel etwas fester um sich.

Jess starrte konzentriert auf das Spielfeld und grübelte über ihren nächsten Zug nach. Sie fasste sich dabei am Kinn und kniff die Augen leicht zusammen. Jimena und Casey sind bereits ausgeschieden, blieben nur noch sie und Aglef. Und Aglef war ein ganz harter Brocken. Es war beeindruckend, wie schnell er sich in dem Spiel zurechtgefunden hatte und wie gut er darin war.
Dadurch stieg er noch einmal ordentlich in ihrem Ansehen. Jess Blick huschte kurz zu Aglef, dann machte sie ihren nächsten Zug und lächelte leicht dabei. So viel Spaß hatte sie bei dem Spiel schon lange nicht mehr.
Derweil unterdrückte Jimena ein leises Lachen. „Nein, alles gut. Ich gehe aber kurz mit dir mir“, antwortete sie und folgte Casey in die Küche. „Wir hätten besser ein anderes Spiel ausgesucht. Gibt es nicht so eins, bei dem man Bausteine aufeinander stapelt und am Ende einen nach dem anderen zieht? Habt ihr das zufällig? Das wäre vielleicht… etwas einfacher. Oder ein Kartenspiel“, schlug sie vor und musterte dann den Älteren von der Seite. „Und? Wie ist es so… so lange Mensch zu sein?“, fragte sie neugierig.

Ein Mensch. Noch ein Mensch. Die Frage war nur, gehörte sie zu den Mistkerlen vor der Tür? Nach dem was sie sagte wohl eher nicht. Oder sie war eine sehr gute Schauspielerin. Nur warum sollten die Mistkerle draußen eine 50 kg Person mit ihm hier einsperren? Das Mädchen könnte ihm ja nicht einmal umschubsen, wenn sie es versuchen würde. Damion drehte sich der Kopf. Er hatte keine Ahnung was hier eigentlich los war und wer zu welcher Seite gehörte. Scheiße, er wusste ja nicht mal welche Seiten es hier eigentlich gab! Genervt wollte er sich die Haar raufen und zuckte schmerzhaft zusammen. Die verdammte Kugel steckte sicher noch und Silber heilte einfach unglaublich langsam. Die Schmerzen verbesserte seine Laune nicht gerade, weswegen er ziemlich unfreundlich auf die Bitte der jungen Frau reagierte. "Tu dir keinen Zwang an Schätzchen. Aber die Tür ist von Außen verriegelt. Wenn deine Freunde dir nicht den Gefallen tun die Tür zu öffnen, sitzen wir wohl beide hier drinnen fest", knurrte er.

Aglef bekam von seiner Umgebung kaum noch etwas mit. Nichts was nicht mir Jess Zügen und seiner Reaktion darauf zu tun hatte zumindest. Sein Kopf war beängstigend zielstrebig auf den Sieg gesetzt und darüber vergaß er alles andere. Ob es ihm wie Jess Spaß machte war schwer zu sagen.
Casey Lächelte leicht, als Jimena meinte sie hätten besser etwas anderes gespielt. Unrecht hatte sie ja nicht. Allerdings hatte Casey auch keine Ahnung gehabt, wie ernst Aglef Spiele nehmen würde. Es war ein bisschen, als hätte er keinen Schalter zwischen Realität und Spiel. Wobei er damit gut zu Jimena passte. Sie hatte zumindest auch keinen Filter in ihren Fragen. "Wow", lachte Casey und wandte sich wieder zu ihr um, nachdem er die Gläser in der Spülmaschine verstaut hatte. "Manchmal vergesse ich, wie direkt du bist." Wobei er es seiner alten Freundin nicht übel nahm, sie hatte sich das Recht für direkte Fragen ganz sicher verdient. Nachdenklich lehnte er sich gegen den Tresen und überlegte, wie es eigentlich tatsächlich für ihn war. "Zuerst habe ich es gehasst. Schwach sein, hungrig sein, frieren. Krank sein. Ich hätte gar nicht schnell genug wieder ein Vampir werden können und keiner meiner Freunde wollte es versuchen. Vielleicht habe ich deswegen - Nein, genau deswegen wollte ich nicht, dass es etwas Gutes ist. Jess hat ne Menge ertragen müssen; ich war ziemlich jämmerlich in der ersten Zeit. Woran Galon nicht ganz unschuldig ist. Er hat mich mit einem Haufen Teenager in die Schule gesteckt. Und doch..", er hielt einen Moment inne und sah blicklos in die Ferne, bis er mit den Schultern zuckte. "Ich will kein Mensch bleiben. Schon wegen Jess nicht. Aber ich muss zugeben, dass es seinen Reiz hat. Die Möglichkeit endlich etwas mit meinem Leben zu machen. Erwachsen werden." Seine Lippen zuckten zu einem Grinsen hoch und er sah Jimena etwas verschämt an. Ihr musste er sicher nicht erklären, warum er es vor allem gut fand älter auszusehen.

Welche Freunde? Das waren ja wohl eher seine Freunde. Oder Bekannte. Was auch immer. Neha trat wortlos an dem Mann vorbei, jedoch nicht ohne ihn etwas misstrauisch zu mustern. Er schien offensichtlich keine gute Laune zu haben… ob er betrunken war, oder so? Besser, sie verließ den Kühlraum so schnell wie möglich, schon allein auch wegen der Temperatur. Neha blieb vor der Tür stehen, betätigte die Klinke und drückte. Und drückte. Die Tür rührte sich nicht. Das konnte doch nicht wahr sein. Fassungslos starrte sie die Tür an, blinzelte und hämmerte dann gegen die Tür. „Hallo? Können Sie mich hören? Hier ist Neha Laghari, Labor 7, Mr. Richard hat mich gebeten, Proben für ihn in den Kühlraum zu bringen. Öffnen Sie bitte die Tür“, raunte sie und wartete dann kurz, lauschte, ob jemand ihr antwortete oder womöglich die Tür aufschloss. Aber da war nichts.
„Hallo?“, rief sie deutlich lauter und hämmerte nun gegen die Tür. „Hallo!?“ Fluchend trat sie einen Schritt von der Tür zurück und fuhr zu dem Mann herum. „Was soll das? Sagen Sie Ihren Freunden, sie sollen uns herauslassen! Das ist wohl der letzte Ort für so einen Scherz“, raunte sie ernst und zupfte an ihrem Laborkittel, der eindeutig nicht warm genug war für diesen Raum.

„Was? Soll ich etwa erst einmal eine halbe Stunde um den heißen Brei reden? Außerdem ist es doch irgendwie naheliegend… Es ist ja nicht so, als hätte schon jemand anderes die Erfahrungen gemacht, die du machst. Besonders, wenn man bedenkt, wie lange du zuvor ein Vampir warst…“, fügte Jimena etwas leiser hinzu, zuckte mit den Schultern und musterte Casey. Es gab Tage, an denen hatte sie Casey ebenfalls ein wenig beneidet. Ihr Menschsein lag schließlich auch schon lange her und die Welt hatte sich seit dem erheblich verändert…
Sie lächelte leicht, während der Ältere antwortete. Sie konnte Caseys Gefühle gut nachvollziehen. Die schlechten sowie die guten. Sie war froh, dass er seine Meinung geändert hatte, dass er das Menschsein inzwischen auch genießen konnte und den Reiz erkannt hatte. Dass er es nutzte.
„Kann ich gut verstehen. Ich glaube… wenn ich die Möglichkeit erhalten hätte, ich wäre auch froh gewesen, endlich etwas älter auszusehen. Zumindest wäre das so vor ein paar Jahren gewesen. Heute… heute wäre es mir lästig. Ich will nicht älter aussehen. Neben deinem Bruder sehe ich genau richtig aus… und genauso fühlt es sich auch an… genau richtig“, sagte sie und nun war sie diejenige, die etwas verschämt dreinsah und schief lächelte.
„Ist es… für dich sehr seltsam, dass er und ich…?“

Die junge Frau schien ganz offensichtlich nicht zu den Arschlöchern vor der Tür zu gehören. So gut konnte sie gar nicht schauspielern (schon gar nicht für die Sinne eines Vampires). Dass sie hier arbeitete war dann wohl die Erklärung, warum sie sich in diesem Raum aufgehalten hatte. Kühlkammer, berichtigte Damion sich und bekam fast Mitleid mit dem Mädchen. Als sie sich wieder zu ihm umwandte und verlangte, dass er die anderen dazu brachte die Tür zu öffnen, konnte er nur mit den Schultern zucken. "Herzchen, das sind keine Freunde von mir. Da sie mich hier drinne erst eingeschlossen haben, werden sie wohl kaum so freundlich sein sie wieder zu öffnen", erwiderte er und ließ unerwähnt, dass die Menschen vorher auf ihn geschossen hatten. Er bemerkte, wie sie an ihrem dünnen Mantel zupfte. Es dauerte allerdings noch einen Moment, bevor ihm aufging, dass ihr sicher kalt wurde. "Wie lange bist du schon hier drin?", fragte er nachdenklich. Wenn sie nicht mitbekommen hatte, was zwischen ihm und dem Rest der Anwesenden vor der Tür vorgefallen war, musste sie wohl schon eine ganze Weile hier gewesen sein. Warum sie als temperaturempfindlicher Mensch allerdings in so unzureichender Kleidung in eine Eisbox stieg, das konnte Damion sich nicht erklären.

Ein wenig überrascht sah Casey seine alte Freundin an und lächelte dann warm. Er hatte sich gewünscht, dass sie und sein Bruder sich wirklich gegenseitig ergänzten. Aber nach den letzten Vorkomnissen hatte er doch gezweifelt, ob sie wirklich gut für einander passten. Dass Jimena sich so klar für Aglef und ihre Beziehung zu ihm aussprach, beruhigte Casey doch. So wie er seinen Bruder nämlich erlebt hatte, bekam er immer mehr das Gefühl, dass er ohne Jimena gar keinen Halt im Leben finden würde. "Ich kann nicht leugnen, dass ich es zu Anfang tätsächlich etwas merkwürdig gefunden habe", erwiderte Casey beruhigend mit einem warmen Lächeln. "Aber wer euch zusammen erlebt, kann nicht leugnen, dass ihr zusammen passt. Ich hoffe immer, dass wir gemeinsam nur halb so harmonisch gemeinsam ausgesehen haben. Außerdem, Jimena. Es sollte dir völlig egal sein, was andere davon halten, solange ihr beide zufrieden damit seid wie es ist."

Herzchen. Neha nahm den Typen erstmals ins Auge. Aus irgendeinem Grund hatte sie zuerst gedacht, er wäre älter, aber jetzt, da sie ihn richtig ansah, bemerkte sie, dass er wohl eher jünger war als sie. Nicht viel, vermutlich nur ein paar Jahren… Der Anzug machte ihn älter. Apropos…
„Nicht lange. Ich wollte nur kurz rein und wieder raus- Jemand hat mich gebeten, ein paar Proben runter in die Kühlkammer zu bringen. Ich war gerade fertig und wollte wieder gehen, als es draußen laut wurde… also habe ich mich erstmal nicht von der Stelle bewegt. Und dann bist du reingekommen“, sagte sie und verschränkte die Arme und rieb sich die Oberarme. „Wenn das hier so etwas wie Versteckte Kamera ist, dann finde ich es wirklich nicht lustig. Ugh, ich hätte einfach nach Hause gehen sollen“, murrte sie und ließ kurz den Kopf hängen. Theoretisch wusste Mr. Richards wo sie war… aber vermutlich hatte er längst wieder vergessen, dass er sie um diesen Gefallen gebeten hatte. Er hatte sich ja auch nicht einmal an ihren Namen erinnert. Neha fuhr sich stöhnend mit einer Hand über das Gesicht. Anschließend tastete sie mit ihren Händen ihren Laborkittel und ihre Hose ab. Kein Handy. Natürlich nicht. Das lag noch oben bei ihren Sachen. „Hast du ein Handy dabei? Ich vermute zwar, wir haben hier kein Netz, aber ein Versuch wäre es dennoch wert“, raunte sie und begann sich nun in der Kühlkammer aufmerksamer umzuschauen. Gab es irgendetwas, womit sie die Tür aufbekamen? Irritiert blieb sie stehen, als der Kerl sein Jackett auszog und es ihr reichte. „Die wirst du selbst brauchen. Zieh sie am b-“ Neha verstummte, riss die Augen auf und schlug sich die Hand vor dem Mund. „Ist das eine Schusswunde!? Haben sie dich angeschossen!? Oh mein Gott- hast du Schmerzen? Soll ich-“, fing sie an, sah sich hektisch um. Sie hatte die dunkle Ahnung, dass es hier drinnen keinen Erste Hilfe-Kasten gab.

„Es hat bestimmt auch bei uns solche Tage gegeben“, antwortete Jimena lachend, ehe sie wieder etwas ernster wurde. „Danke. Ich weiß, so war meine Frage auch nicht gemeint. Es hätte mir nur einfach leid getan, wenn das für dich komisch wäre. Davon abgesehen bist du nicht irgendjemand. Die Meinung anderer ist mir tatsächlich ziemlich egal. Aber deine nicht. Du bist Aglefs Bruder, du bist Familie“, sagte sie mit einem schiefen Lächeln und zuckte mit den Schultern. „Umso erleichterter bin ich. Und du und Jess, für euch gilt das gleiche. Ihr passt zusammen. Und ich freue mich schon sehr auf eure Hochzeit – ich gehe fest von einer Einladung aus. Haben du und Jess euch denn schon etwas überlegt? Wo ihr feiern wollt, eher groß, oder in einem kleinen Rahmen?“, fragte sie neugierig.

Um diese Nachtzeit noch arbeiten? Damion war sich den üblichen Gepflogenheiten der Arbeitswelt heute nicht sonderlich bekannt, aber er war sich ziemlich sicher, dass so gestresst wirkende Frauen nicht mehr zu nachtschlafender Stunde in irgendwelchen Bürokomplexen alleine rumrennen sollten. Andererseits hatte sie gesagt, sie wäre geschickt worden, also wohl nicht so alleine. Dann wohl aber definitiv nicht in Zusammenarbeit mit den Leuten draußen, anders als seine betrügerische Begleitung, die ihn überhaupt erst hergeführt hatte. Die Frage, ob die Dame sich wohl getäuscht hatte und in den Hinterhalt einer Gruppe Jäger getappt war, erübrigte sich. Von einem Stelldichein in einem Büro war keine Rede gewesen, sie musste ihn voller Absicht hierher geführt haben. Die verwirrte Frau mit ihm im Raum hatte den einzigen guten Gedanken. Er zog sein Handy aus der Tasche, musste aber leider zustimmen, dass sie mit ihrem Einwand recht gehabt hatte. Kein Netz. Wütend sah Damion auf und sah das Zittern des Menschen. Seufzend zog er sein Jackett aus und zuckte überrascht zusammen. Die Schusswunde in der Schulter hatte er schon fast vergessen gehabt, trotz des Brennens durch das Silber. Bevor er der Frau sagen konnte, dass sie sich besser um ihre eigene Temperatur als um seine kümmerte, bemerkte auch sie das Blut. Er hielt sich gerade eben noch davon ab mit der Schulter zu zucken und schüttelte stattdessen den Kopf. "Du sollst die Jacke anziehen, bevor du einfrierst", unterbrach er ihren Sermon und schob ihr etwas ungeduldig das Kleidungsstück entgegen. "Wenn dir nichts eingefallen ist, wie wir schnell hier raus kommen, werden wir wohl abwarten müssen, was die Kerle vor der Tür planen", fuhr er fort und sah etwas düster zur Tür. Wenn das wirklich Jäger waren, dann wären sie dumm die Zeit nicht zu nutzen. Vampire erfroren zwar nicht so schnell, aber wenn sie lange genug in der Kälte blieben, nützte ihnen ihre Kraft und Schnelligkeit auch nichts. "Wie lange dauert es, bis hier wieder Betrieb herrscht?", fragte er die einzige Frau, die ihm sagen konnte ob irgendwer rechtzeitig für sie beide auftauchen würde.

Für einen Moment war Casey ein wenig vor den Kopf geschlagen. Familie. Er hatte schon lange nicht mehr darüber nachgedacht, wer oder wie viele zu seiner Familie gehörten. Aglef natürlich, Jess auch. Aber Jimena.. Er war sich nie so richtig sicher gewesen, ob sie ihm wirklich verziehen hatte sie damals einfach so fallen gelassen zu haben. Ihre Trennung war wirklich nicht sehr schön gewesen und es war wirklich nicht in Ordnung gewesen wie er gegangen war. Dass sie ihn trotzdem als Familie sah (wenn auch nur in Verlängerung zu Aglef), ließ ihn ganz warm werden. Sein Lächeln wurde etwas verlegen und er zuckte mit den Schultern. "Bisher hab ich mich noch nicht so sehr damit beschäftigt. Jess hat bestimmt konkrete Vorstellungen, wie es ablaufen soll. Und da wir das ja hauptsächlich für sie tun.. Verrat ihr das bloß nicht. Es ist ja nicht so, dass ich nicht WILL! Es.. Ein Stück Papier, dass eine Verbindung symbolisiert, die wir schon haben, bedeutet mir einfach nicht so viel wie ihre. Fürchte ich. Aber daher.. Ich bin völlig zufrieden mit allen Einfällen, die sie haben wird", erklärte er und hob auf halben Weg abwehrend die Hände. Er wollte wirklich nicht, dass Jimena (oder Jess) den Eindruck bekamen ihm wäre das alles egal.

Nehas Mund öffnete und schloss sich wieder. Entgeistert nahm sie das Jackett entgegen und starrte dabei den Kerl an. Hatte sie sich verguckt? War das gar kein Einschussloch? Aber… aber da war doch Blut! An seinem Hemd. Auf dem schwarzen Jackett hat man das gar nicht so gesehen, doch auf dem weißen Hemd war es deutlich zu sehen. Nur… naja. Für eine Schusswunde war es vermutlich zu wenig Blut? Was wusste sie schon, so etwas kannte sie ja zum Glück nur aus dem Fernsehen. Vielleicht… nein, sie hatte keine Ahnung und konnte es sich nicht erklären. Der Typ wirkte auch viel zu entspannt dafür, dass er angeschossen worden war… Blinzelnd ließ Neha ihren Blick wieder sinken, sah auf das Jackett und fing an, es sich langsam über ihren dünnen Laborkittel zu ziehen. „Danke“, murmelte sie, noch immer deutlich neben der Spur. „Wie lange…“, wiederholte sie, fuhr sich mit einer Hand über die Stirn und überlegte. „7 Uhr. Frühestens. Die meisten kommen erst um 8 Uhr“, antwortete sie und wurde dann etwas blass. „Aber… aber so lange werden wir hier doch nicht drin sein. Die holen uns vorher raus. Oder?“, fragte sie und sah ihn beinahe flehentlich an. Sieben Uhr… das würde bedeuten, dass sie hier mindestens ach Stunden sein würden… Acht Stunden… bei diesen Temperaturen. Neha schluckte. Nein, sie mussten hier vorher raus!
„Kennst du die Leute, die uns hier eingeschlossen haben? Oder… ich meine… Hast du etwas ausgefressen? Gehörst du zu einer Gang oder Mafia? Oder… ist deine Familie reich? Versuchen sie deinen Vater zu erpressen?“, fragte sie. „Weiß jemand, dass du hier bist?“, setzte sie deutlich hoffnungsvoller hinzu. Denn eins war klar, sie vermisste niemand…

Acht Stunden noch. Mindestens. Bevor in diesem gottverlassenem Gebäude Leute auftauchen würden. Zeit genug, dass selbst im die Kälte zu schaffen machte, da war Damion sich ziemlich sicher. "Ja. Die holen uns vorher raus", antwortete Damion etwas tonlos und rieb sich die Stirn. Egal was die vorhatten, wenn sie soviel Zeit hatten wären sie schön blöd die Tür aufzumachen, bevor Damion auch nicht mehr in der Lage war sich zu wehren. Da hatte er sich aber ganz massiv in die Scheiße geritten. Die Frau fing wieder an zu reden und lenkte ihn von seinen Gedanken darüber ab, wie er aus dem Schlamassel bloß wieder raus kam. Ihre Spekulationen wurden immer wilder und am Ende musste er unwillkürlich und sehr trocken lachen. "Sie können es ja versuchen. Mein Vater würde vermutlich noch dafür zaheln, dass sie mich behalten", entwischte ihm, bevor er sich in Erinnerung rufen konnte, dass die Frau keine Ahnung hatte wer oder was er war. "Es weiß niemand, dass ich hier bin oder wo sie mich suchen sollten. Da wir nicht telefonieren können, werden wir hier wohl frieren müssen, bis die Tür aufgeht", fuhr er bissig fort, bevor sie nachfragen konnte. Dann wurde sein Gesichtsausdruck etwas weicher. Sie hatte keine Ahnung was hier eigentlich los war und in etwas hineingestolpert, dass weit außerhalb ihrer Kontrolle lag. "Entschuldige Herzchen. Hier wird kein Ritter auftauchen um dich zu retten."

„Dafür zahlen?“ Neha sah den Kerl fassungslos an. War das ein Scherz? Es musste ein Scherz sein. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein Vater seinem Sohn so etwas tatsächlich antun würde, egal wie schlecht die Beziehung zueinander war. Und was war mit seiner Mutter? Neha rieb sich ihr Finger, die ganz eisig waren und verlor den Faden ihrer Gedanken, als der andere weitersprach.
Niemand. Neha schluckte und fühlte sich nicht gut. Sie taumelte ein, zwei Schritte zurück und blieb dann an ein Regal gelehnt stehen. Niemand wusste, dass er hier war. Und niemand wusste, wo sie war (außer Mr. Richard, dem sie aber vermutlich herzlich egal war). Hinzukam, dass sein Handy tatsächlich nicht funktionierte. …werden wir hier wohl frieren müssen, bis die Tür aufgeht. Wusste er nicht, was er da sagte? Oder meinte er es sarkastisch? Acht Stunden. Acht Stunden waren zu viel. Neha wurde in diesem Moment nur zu deutlich bewusst, dass sie zitterte. Auch mit dem Jackett, das sie sich gleich noch etwas enger um sich zog, war ihr kalt. „Irgendwie müssen wir hier rauskommen“, sagte sie, stieß sich wieder vom Regal ab und lief durch den Kühlraum. Dabei war es hoffnungslos. Neha schluckte und sah an einem Regal vorbei zu dem Typ. „Ich bin Neha. Neha Laghari. Für den Fall, dass du mir vorhin beim Brüllen nicht zugehört hast“, fügte sie kleinlauter hinzu.

"Dann finde uns mal einen Weg", grummelte Damion, wobei er die Reaktion der Frau durchaus verstehen konnte. Die Erkenntnis hieß für sie, dass sie in diesem verdammten Kühlraum sterben würde. Und wenn er sie so zittern sah, dann würde es wohl schneller gehen als er vorher noch angenommen hätte. Selbst wenn sie jemand suchen würde, bezweifelte Damion, dass sie rechtzeitig kämen. Und dann müssten sie ja auch noch an bewaffneten Menschen vor der Tür vorbei. Trotzdem sah er sich die Wände der Kammer genauer an, konnte aber keine Schwachstellen erkennen. Die Frau sah an einem der Regale vorbei zu ihm und stellte sich vor. "Da ich dich bis dahin noch gar nicht entdeckt hatte. Nein, hatte ich nicht mitbekommen", erwiderte Damion trocken und fragte sich, wozu es gut sein sollte. Sie würde nur noch ein paar Stunden überhaupt bei Bewusstsein sein und sein Name würde ihr sicher auch nicht weiter helfen. Aber sie sah ihn weiter auffordernd an, als wäre er unhöflich. Am Ende grinste er leicht und nannte doch seinen Namen: "Damion Catrell. Ich würde dir ja dabei helfen warm zu bleiben, aber keiner meiner Vorschläge wäre wirklich angemessen."

Es brauchte etwas, bis er ihr verriet, wie er hieß. Ob das ein Geheimnis war? War er irgendjemand bekanntes? Neha hatte keine Ahnung. Sie las keine dieser Klatschblätter oder Internetseiten, die sich nur mit Promis und reiche Leute beschäftigten. Neha reichte es aus zu wissen, wie die Königin des Landes, ihr ältester Sohn und dessen zwei Söhne hießen. Alles was darüber hinaus ging, war unwichtig. Daher konnte sie nicht mit Sicherheit sagen, ob das vielleicht der Grund für sein Zögern war. Damion Catrell. Irgendwie sah er ja schon reich aus.
Bei dem Satz, der seinerseits folgte, wurden ihre Augen kurz groß. Sie musste weiß Gott nicht fragen, was er meinte. Sie kam wieder hinter dem Regal vor und auf ihn zu. „Wie kannst du jetzt noch scherzen!?“ Neha schüttelte fassungslos den Kopf und wäre vielleicht errötet, wenn die Prioritäten ihres Körpers nicht gerade woanders liegen würden. „Dir ist schon klar, dass wir beide hier vielleicht nicht mehr lebend herauskommen?“ Sie schluckte, die Finger dabei in den Stoff seines Jacketts verkrallt. „Wenn du… wenn dir zu kalt ist, gebe ich dir selbstverständlich dein Jackett wieder. Du musst nur etwas sagen… und es ist wieder deins“, sagte sie leiser, meinte ihre Worte aber aufrichtig. Es spielte am Ende ja doch keine Rolle…
Neha schloss die Augen und stieß den Atem seufzend aus. Vielleicht… vielleicht würden die Leute sie ja doch wieder herauslassen? Nach einer Stunde? Oder zwei… Das mussten sie doch, oder nicht? Sie konnten unmöglich ernsthaft wollen, dass sie beide hier drinnen erfroren! Vor allem sie, die mit all dem nichts zu tun hatte – was auch immer das war. Neha rieb sich mit den Händen ihre Oberarme. Sie musste sich einfach noch ein wenig länger warmhalten…

Sprung um mehrere Stunden: 25.12., 5 Uhr

Die Suche nach einem Ausgang hatten sie schon vor Stunden aufgegeben. Es gab keinen Weg hier raus und den Geräuschen draußen nach zu Urteilen war niemand da, der sie rauslassen konnte. Damion hatte gehofft, dass seine Schusswunde endlich heilen würde, aber die Kugel steckte tief und das Silber verhinderte es. Neha hatte sich nicht dazu überreden lassen können in seiner Wunde nach der Kugel zu fischen, was wohl auch daran lag, dass sie nichts zur verfügung hatten mit der sie es hätte tun können. Aber der Streit darüber hatte sie ein wenig warm gehalten. Ein wenig besorgt betrachtete er die Frau neben sich. Das Zittern hatte vor einer Weile nachgelassen und auch Damion machte die langsam zu schaffen. Seine Gliedmaßen waren steif und er war sich ziemlich sicher, dass er auch ohne Silberkugel in der Schulter nicht so stark wäre wie gewohnt. Was ihn aber mehr beschäftigte, waren Nehas Augen, die immer häufiger und immer länger zuvielen. Sie hatte sich neben ihn gesetzt, wie um Wärme zu suchen, die er nicht spenden konnte. In den wenigen Stunden hatte er eine ganze Menge über die junge Frau erfahren, nachdem sie erst angefangen hatte ihn zu löchern und dann er die Fragen gestellt hatte, als sie anfing ruhiger zu werden. Vor allem wusste er, dass sie ein verdammt trostloses Leben führte. Als sie ihren Kopf auf seine Schulter sinken ließ und leise klagte, dass sie jetzt keine Chance mehr kriegen würde überhaupt zu leben, legte er ihr den Arm um die Schultern. "Herzchen, das ist nicht das Ende hier. Versprochen. Du kriegst deine Chance was anderes zu tun, als zu arbeiten", sagte er ernst und rieb ihren Arm, als könnte er damit ein bisschen Wärme in sie hinein kriegen. Er meinte das Versprechen durchaus ernst, aber ihm war auch klar, dass seine Möglichkeiten begrenzt waren.

Jael hatte Galon unauffällig beiseitegezogen und darüber informiert, was er herausgefunden hatte. Damion war weg, mit irgendeiner Frau gegangen, die niemand kannte. Was schon verdammt merkwürdig war, weil hier eigentlich niemand Unbekanntes hätte sein sollen. Galon nickte leicht und schickte seinen Angestellten damit wieder weg. Immer noch grübelnd kam er wieder bei seiner Frau an. Was zum Geier stellte sein misratener Sproß eigentlich schon wieder an. "Irgendwann werde ich ihn doch noch umbringen", grummelte er leise und setzte wieder ein Lächeln auf, ehe jemand sein grimmiges Gesicht sehen konnte.

Anfangs war Neha in dem Kühlraum noch auf- und abgegangen, um sich halbwegs warm zu halten. Dass es keinen Ausweg gab, hatten sie beide früh genug bitter feststellen müssen. Danach hatte sie angefangen, Damion auszufragen, wobei sie oft nicht sicher war, ob er ihr die Wahrheit erzählte. Manchmal waren es auch eher ausweichende Antworten gewesen. Eine Stunde verging, dann die nächste, zumindest das konnten sie anhand seines Handys feststellen. Und mit jeder Stunde, die verging, schwand ihre Hoffnung und umso müder wurde sie. Sie hielt sich noch eine ganze Weile auf den Beinen, selbst dann noch, als sie immer stiller wurde. Nun war es Damion, der ihr Fragen stellte, der sie sogar zu überreden versuchte, ihm die Kugel zu entfernen (der Typ hatte sie doch nicht mehr alle – sie war froh, dass er bei Bewusstsein und sie nicht komplett allein hier drin war, da würde sie doch ganz sicher nicht dafür sorgen, dass er am Ende noch vor ihr…).
Ihre Antworten auf seine Fragen wurden immer knapper und manchmal verhedderte sie sich auch, verlor den Faden oder sagte zuletzt Dinge, die gar nichts mehr mit der Frage zu tun hatten. Es fiel ihr einfach so schwer, sich zu konzentrieren. Längst hatte sie neben ihm Platz genommen und kämpfte damit, die Augen aufzubehalten. Sie bekam nicht einmal mehr mit, dass ihr unkontrolliertes Zittern allmählich abnahm. Auch Damions Arm, den er ihr um die Schulter legte, bemerkte sie nicht richtig. „-ch bin nich dein Herzchn“, nuschelte sie, war aber zu müde, um anklagend oder ärgerlich zu klingen. Der Rest seiner Worte war schon nicht mehr zu ihr durchgedrungen. „Wenigsn… sterb ich nich allein…“, sagte sie leise und versuchte ihre Finger in sein Hemd zu krallen, was kaum gelang, weil ihre Finger so steif und taub waren. Neha schloss wieder die Augen, den Kopf noch immer auf seiner Schulter. „Ich bin so müde…“ Einfach Einzuschlafen kam ihr gar nicht mehr so furchtbar vor… Dann wäre es vorbei. Vielleicht war das alles hier ohnehin nur ein schlechter Traum, aus dem sie Aufwachen würde, wenn sie hier nur erst richtig Einschlafen würde…

Victoria lächelte matt, trat auf ihn zu und legte eine Hand an seinen Arm. „Vielleicht sollten wir einfach froh sein, dass er den Ball friedlich verlassen hat, ohne irgendetwas anzustellen oder für eine Szene zu sorgen“, entgegnete sie mit gesenkter Stimme und schenkte ihrem Ehemann ein mitfühlendes Lächeln. „Na komm, wie wäre es mit einem Tanz? Vorausgesetzt deine Füße haben sich von dem Tanz mit Pauline bereits wieder erholt. Ich konnte selbst aus der Entfernung sehen, dass sie ein, zweimal deine Füße erwischt hat“, bemerkte sie. Das war allerdings nicht alles, was sie hatte beobachten können, während sie, anders als Galon, nur jeder zweiten oder dritten Aufforderung zum Tanz zu stimmte. Sie hatte auch Asa und Sun Lee ein wenig im Auge behalten. Die beiden hatten sich eine ganze Weile unterhalten und schließlich doch wenigstens einmal miteinander getanzt – ehe Asa sich offensichtlich rar gemacht hatte. Nun stand Sun Lee bei Rubina, mit der sie sich unterhielt.