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Artikel: Ist Fantasy zwingend immer Trivialliteratur?

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Beitrag von Faraday Mo 14 Sep 2009 - 3:05

Ist Fantasy zwingend immer Trivialliteratur?

Fantastische Geschichten gewinnen unter den Lesenden immer mehr an Beliebtheit. Der Fantasybuchmarkt boomt.
Doch warum vermag es dieses aufkommende Genre Jung und Alt so sehr zu begeistern?
Oft heißt es von der Fantasyliteratur, dass sie einfach verständlich und unterhaltsam geschrieben sei. Diese Annahme führt schnell zu dem Schluss, dass Fantasy reine Trivialliteratur ist, massenweise für die anspruchslose lesende Bevölkerung produziert.
Der literarische Wert der Werke wird oftmals nicht allzu hoch eingeschätzt.
Doch kann man dieses Genre so einfach in eine Schublade packen, wie es scheint?

Damit man beurteilen kann, ob Fantasy tatsächlich immer nur Trivialliteratur sein kann, sollte man sich die Definition für Trivialliteratur einmal genauer ansehen.
Als trivial werden normalerweise Dinge bezeichnet, die einfach oder gewöhnlich sind. Trivialliteratur ist also für jedermann verständlich und birgt keine großen Überraschungen. Der Trivialliteratur wird auch vorgeworfen, dass sie sich häufig auf Vorurteile stützt und diese nicht in Frage stellt- also keine kritische Literatur ist.
Das trifft sicher auf einige, ewig schwarz- weiß gezeichnete, Fantasybücher zu, doch der Anspruch des Publikums steigt und schon längst hat sich ein Großteil der fantastischen Literatur über das Groschenroman- Niveau erhoben.
Man will nicht mehr einfach in fremde Welten abtauchen, sondern von dort auch etwas mitnehmen. Gute Unterhaltung ist schön und gut, aber fantastische Literatur hat durchaus mehr zu bieten!

Schaut man in der Geschichte des Genres zurück, stößt man mit Sicherheit auf „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende. Niemand würde diese Geschichte als „trivial“ abtun, denn sie steckt voller Wunder und obwohl sie der Realität fern zu sein scheint, nimmt der Protagonist Bastian aus Phàntasien mehr mit, als er vielleicht selbst bemerkt. Das Abenteuer stärkt sein Selbstbewusstsein mehr, als es die Schule je vermochte.
Lehrt das den Leser nicht, dass gerade die Phantasie einen ausgeprägten Charakter entwickeln kann, der sich mit seinem Umfeld kritischer auseinandersetzen und seinen Standpunkt dort besser zu behaupten vermag?
Wie Bastian kann auch der Leser fantastischer Literatur etwas aus diesen Welten mitnehmen, denn oft stecken sie voll versteckter Problematik, mit der sich jeder früher oder später konfrontiert sieht.
Da gibt es die Frage, ob es das reine Böse gibt- in moderner Fantasy sind die Grenzen oft verwischt und man lernt das Handeln beider Seiten nachzuvollziehen.
Die Protagonisten sind oft mit Selbstzweifeln oder dem ewigen Herumirren nach einem Ziel im Leben ausgesetzt. Plagen sich nicht auch viele von uns in unserer immer schneller werdenden Welt mit solchen Gedanken?
Ein beliebtes Thema in der Fantasyliteratur ist auch das Thema Freundschaft. Den Helden schlechthin gibt es meist nicht mehr, ein Ziel wird oft nur mit der Hilfe treuer Gefährten erreicht. Der Wert von Freundschaften geht in unserer Welt, in der sich jeder hinter seinem eigenen PC verschanzt, auch immer mehr verloren. Da ist es fast eine logische Konsequenz, dass Geschichten, in denen moderne Technologien keine Rolle spielen und die alten Werte wieder in den Vordergrund rücken, immer größeren Anklang finden.
Wenn es also in der Absicht eines Autors liegt, kann er mit Fantasy genauso gut moralische Werte vermitteln, wie es die Realistik vermag.

Wenn man sich die Sprache der fantastischen Literatur ansieht, so kann man auch hier kaum mehr das Urteil „trivial!“ fällen. Viele Fantasyautoren sind Meister der Erzählkunst, denn gerade dieses Genre, das die Grenzen des Bekannten überschreitet, kann nur durch gekonnte plastische Erzählweise glaubhaft vermittelt werden.
Viele Autoren lehnen ihren Stil an den von Märchen und historischen Geschichten an und gerade die High Fantasy pflegt einen altertümlichen Sprachgebrauch, den sich ein Autor erst einmal aneignen muss.

Historisierende Fantasy, also eine fantastische Geschichte in einem historischen Szenario, kann zudem noch geschichtlich informativ sein, obgleich man hier natürlich als Leser das Erfundene vom Wahren trennen muss.
Zahlreich werden auch alte Mythen und Sagen in der Fantasyliteratur aufgegriffen, was genauso lehrreich sein kann und dazu beiträgt, dass beim Leser das Interesse an alter Kultur wie zum Beispiel der nordischen Mythologie geweckt wird.

Beim genaueren Betrachten fällt bei vielen fantastischen Büchern auch auf, dass sie bis ins kleinste Detail liebevoll gestaltet sind. So haben Namen häufig charakterspezifische Bedeutungen, wie es bei „Harry Potter“ der bekannteste Fall ist.

All dies führt für mich zu dem Schluss, dass Fantasy keineswegs nur einfache Literatur sein muss, sondern das inzwischen eher die gehobenere Fantasy zur Regel wird.
Natürlich möchte ich mir nicht anmaßen, dass jedes Fantasybuch jetzt zwangsweise der Hochliteratur zugeordnet werden muss – ein Eragon kann natürlich nie mit einem Faust verglichen werden.
Hier muss differenziert werden, wie in jeder anderen literarischen Gattung auch.
Jedoch hoffe ich, dass ich nun mit dem Vorurteil aufgeräumt habe, dass Fantasy immer „nur“ Trivialliteratur sein kann und bei dem ein oder anderen das Interesse geweckt ist, sich dieses Genre doch einmal etwas genauer anzusehen.
Wenn auch die Fantasy vielleicht nie zur hohen Literatur gehören wird, so nimmt sie doch eine Position in der gehobenen Unterhaltungsliteratur ein, die nicht zu verachten ist und wird so langsam auch in der Literaturwissenschaft beachtet.
Möglicherweise sieht man sie dann in vielen Jahrzehnten als ein Merkmal unserer Zeit an und bewertet sie dann als wertvolle zeitgenössische Literatur, die unsere Gesellschaft widerzuspiegeln vermag.


von Nathalie Gnann

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