Vampire-Das RPG IV

„Jael?“ Es klopfte an der Tür und nur wenig später steckte Charles seinen Kopf herein. Er trat nicht ein, sondern blieb im Türrahmen stehen. „Ich dachte, wir würden es heute mal in diese Bar schaffen, von der ich dir neulich erzählt habe. Erinnerst du dich? Die, in die ich schon, hm, zehn Mal mit dir wollte und du hast immer wegen der Arbeit abgesagt? Wie wäre es, wenn du heute mal ausnahmsweise tatsächlich mitgehen würdest. Es wären auch nur wir beide, die anderen klappern die Bars im östlichen Teil der Stadt ab“ Die Bars, in denen Frauen tanzten.
Charles lächelte matt und sah Jael auffordernd an. „Gib dir einen Rück. Wenn du heute mitgehst und es dir nicht gefällt, frage ich dich auch nicht noch einmal, wenn du nicht möchtest“

Da war dieser Geruch. Jess glaubte erst, sich diesen Geruch einzubilden, da sie ganz genau wusste, zu wem er gehörte. Und da sie eben erst an ihn gedacht hatte, spielte ihr Verstand vielleicht einen Streich? Aber dem war nicht so, glücklicherweise. Überrascht sah Jesaiah auf, als sie das ‚Bongiorno‘ hörte und blickte in das Gesicht von Casey. Es war unverkennbar er, wie er da seine Arme auf der Rückenlehne der Bank verschränkt hatte und sie angrinste.
„Casey!“, raunte Jess mit einem freudigen Lächeln und drehte sich zu, dass sie ihn gemütlich ansehen konnte. „Das nenne ich mal eine gelungene Überraschung! Was machst du hier?“, fragte sie, stützte ihren einen Ellenbogen auf der Rückenlehne ab und legte ihr Gesicht gegen ihre Hand.
„Ich bin ja zu alt, als das ich noch sonderlich an Zufälle glaube… Ich nehme an, du hast gewusst, dass ich hier bin?“, fragte sie amüsiert und ließ ihre Brauen kurz aber bedeutungsschwer nach oben zucken. Mit der anderen Hand nahm sie ihr schwarzes Buch vom Schoß und bedeutete dann dem Älteren, sich ruhig neben sie zu setzen.
„Ich hatte mir in den letzten Jahren extra weniger Mühe gegeben, meine Spuren zu verwischen“, sagte sie mit einem Zwinkern.

Derweil schluckte Rubina, nippte an ihrem Thermobecher, der gut verbarg, was sie darin warm hielt, was gleichzeitig jedoch ihre Nerven ungemein beruhigte. Und nein, es war kein Alkohol.
Die Minuten verstrichen und schließlich war es soweit, das Mikrophon stand und ein junger Mann, der normalerweise hinter der Bar arbeitete, trat auf die Bühne kündigte ihren Auftritt an.
Dann war es also soweit. Inzwischen war dies nun ihr 12. Auftritt in einer Bar. 12 gescheiterte Versuche, ihn zu finden. Aber… vielleicht ja heute.

Damit hätte er rechnen sollen. Charles kam in letzter Zeit so häufig bei ihm vorbei und fragte, ob sie nicht etwas unternehmen sollten, dass er sich langsam fragte, wer ihn dazu angestiftet hatte. Niemand zeigte plötzlich so ein Interesse daran mit einer bestimmten Person auszugehen, zumal Jael sich ziemlich sicher war, dass Charles nicht zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen neigte. Aber was wusste er schon. Seufzend sah er auf und wünschte er hätte es nicht getan. Einfach nein sagen und weiter arbeiten war einfacher, wenn man nicht das hoffnungsvolle Lächeln vor Augen hatte. Er wusste welche Bar sein Gegenüber meinte und wusste auch, dass sie sich nicht von anderen Bars unterschied, mit Außnahme davon, dass keine nackten Frauen tanzten und sie im Moment ein Angebot mit recht unbekannten Livemusikern hatten. Nichts, was ihn interessierte oder Charles Interesse hätte wecken sollen. Und doch lag er ihm seit Wochen damit in den Ohren. "Nur dieses Mal? Und dann keine weiteren Fragen mehr?", hörte er sich antworten. Was hatte ihn denn dazu bewogen? Arbeit hatte er heute schließlich auch nicht mehr oder weniger als die anderen Abende.

"Zufall und Schicksal. Zwei Sachen, die sich so schlecht trennen lassen", antwortete Casey myseriös und schwang sich mit einem Lächeln kurzerhand über die Lehne. Die Füße auf der Sitzfläche blieb er auf der Lehne sitzen und stützte die Unterarme auf die Knie um zu Jess hinunter zu sehen. "Es gibt nur eine Person, die ihre Spuren gut genug verwischt, dass sie niemand finden kann. Und bei der bin ich mir gar nicht mal so sicher, ob er es überhaupt merkt, was er da tut", fuhr er etwas nachdenklicher fort. Sein Blick bliebt kurz an der fast verschwundenen rot glühenden Sonne hängen, ehe er sich mit einem kleinen Kopfschütteln wieder aus den Gedanken riss. Er war hier um nicht daran zu denken. "Ja", antwortete er ehrlich und wandte ihr den Blick wieder zu. "Ich hab verfolgt wo du warst. Eine Vorsichtsmaßnahme, immerhin warst du auch nicht ganz auf der Höhe, als unsere Wege sich trennten. Es freut mich, dass du wieder zurück in die Zivilisation gefunden hast."

„Ich gebe dir mein Wort, ja!“ Euphorisch hatte Charles zugesagt und konnte es kaum glauben, dass Jael dieses Mal wirklich kleinbeigab. Er ließ die Arbeit liegen und gemeinsam brachen sie zur Bar auf. Den Weg kannte Charles ganz gut, er war selbst schon ein paar Mal dort gewesen, weswegen er sie auf den kürzesten Weg dorthin brachte. „Ich bin gespannt, wer heute auftritt. Beim letzten Mal war eine kleine Band aus Irland da gewesen. Die waren großartig gewesen“, erzählte er Jael unterwegs. Als sie schließlich bei jener Bar ankamen, war von drinnen Applaus zu hören.
„Nach dir“, wandte er sich an Jael und wies auf die Tür.

Drinnen war Rubina gerade mit ihrem vierten Song fertig geworden. Noch einer stand ihr zu und je nachdem ob das Publikum eine Zugabe wollte, auch noch ein weiteres Lied. Wegen den Scheinwerfern, die auf die Bühne gerichtet waren, konnte sie nicht so gut die Menge schauen, doch ihre Nase verriet ihr, dass Jael bislang ganz sicher nicht da gewesen war. Dennoch… das letzte Lied, dass sie jedes Mal als letztes sang, war für ihn. In der Hoffnung, dass er es irgendwann, irgendwie hören würde. Rubina lächelte in die Menge, wenn auch nicht ganz so aufrichtig wie zu Beginn des Auftritts. „Das nächste Lied… ist etwas persönlicher, als die anderen. Da war dieser Mann vor…ein paar Jahren. Für ihn habe ich das Lied geschrieben. In der Hoffnung, dass er es irgendwann hört“

Also hatte Casey in den letzten zwölf Jahren keinen Erfolg bei seiner Suche nach seinem Bruder gehabt. Mitfühlend sah Jess ihn an, während sie überlegte, ob sie darauf eingehen sollte. Doch dann wechselte Casey selbst rasch wieder das Thema und sie zog es vor, es ihm gleich zu tun. Vielleicht fand sie wann anders die Gelegenheit, mit ihm darüber zu reden. In Ruhe. Wenn er selbst auch dazu bereit war.
„So. Hast du“ Jess schnippte sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Du hättest auch einfach fragen können, wo ich bin. Wäre viel unkomplizierter gewesen. Wir hatten ja ohnehin SMS Kontakt“, antwortete Jess, nahm ihren Arm von der Rückenlehne und lehnte sich dann zurück.
„Natürlich rührt es mich, dass du dir die Mühe gemacht hast. Und dir Gedanken um mich gemacht hast. Wenn auch unnötig. Ich komme immer wieder auf die Beine. Ich halte es wie die Katzen, was das angeht“, fügte sie hinzu, während sie sich zu ihm hinüber lehnte und dann schmunzelnd mit ihrem Arm sein Bein anstieß.
„Aber es freut mich auch. Vor allem dich hier zu sehen.“ Jess drehte sich wieder mit dem Oberkörper ihm zu und lächelte dabei charmant. „Ich hoffe, du hast den Klingelton nicht gelöscht“

Was hatte ihn nur dazu gebracht zuzustimmen? Das war die Frage, die Jael sich den gesamten Weg zu dieser Bar stellte. Natürlich wusste er, wer in der Bar auftrat, wie sollte er es auch nicht. Charles Enthusiasmus prallte auf eine kalte Mauer, in die Jael sich einhüllte. Immerhin konnte er hinterher eines ohne zu Lügen sagen: Es hatte ihm nicht gefallen und er würde nicht wieder mitkommen. Seufzend trat er an Charles vorbei in den dunklen Raum. Abrupt blieb er stehen. Sein Blick war dem Licht gefolgt und direkt auf Rubina gelandet. Sie hatte sich nicht verändert, was ihn nicht hätte überraschen dürfen, sie sah sogar noch besser aus, als damals, vor 12 Jahren. Umdrehen konnte er nicht, Charles versperrte ihm den Weg. Er würde bleiben und ein Lied über Damion hören müssen. Wenn sie ihn so liebte, weswegen hatte sie ihn dann verlassen? Es hätte ihm selbst einiges an Kummer ersparrt, wenn sie Damion nicht so wütend zurück nach England geschickt hätte. Zögernd trat er in den Raum hinein und hoffte einen Platz irgendwo sehr weit hinten zu finden.

"Wo wäre denn da der Spaß gewesen?", fragte Casey lachend zurück. Schließlich hatte sie ja auch keine Anstalten gemacht weiter Kontakt zu ihm aufzunehmen. Bis auf die SMS hin und wieder, da hatte er nur aus Neugierde verfolgt wo sie war. "Einer Einschätzung vertraue ich nur ungerne, jedenfalls nicht, wenn ich keine Datengrundlage habe, aber es freut mich, dass deine Pfoten wieder den Boden gefunden haben", neckte er sie schmunzelnd und musste gleich darauf laut lachen. "Nein, tatsächlich nicht. Aber ich bin dazu übergegangen mein Gerät auf lautlos zu stellen, wenn Damion in der Nähe ist. Oder Jael, den nimmt der Ton auch immer sehr mit."

Charles Brauen zuckten ehrlich überrascht nach oben, als er eingetreten war und Rubina auf der Bühne erkannt hatte. Dann bemerkte er, dass auch Jael sie entdeckt hatte. Charles war erleichtert, dass der andere sich nicht an ihm vorbeizwang und die Bar augenblicklich verließ. Vielleicht gab es ja noch Hoffnung… Charles folgte Jael und setzte sich schließlich neben ihn, als dieser einen Platz gefunden hatte. „Nur zu meiner Verteidigung, ich wusste nicht, dass sie heute hier auftritt“, wandte sich Charles an den Jüngeren. „Aber ich gebe zu, dass ich weiß, dass sie seit drei oder vier Wochen schon hier in London ist und in sämtlichen Bars singt“, fügte er hinzu und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, den Blick dabei nach vorne auf die Bühne.

Rubina wollte dem Publikum gerade viel Spaß mit dem nächsten Lied wünschen, als sie diesen Geruch wahrnahm. Blinzelnd sah sie auf und versuchte im hinteren Teil der Bar das Gesicht auszumachen, das sie die ganze Zeit hatte sehen wollen. Aufgrund der grellen Scheinwerfer konnten jedoch selbst ihre guten Augen kaum etwas erkennen. Irgendwo dort hinten in den Schatten musste er sein, dachte sie und kniff leicht die Augen zusammen. Ihre Augen waren zwar nicht gut genug, aber ihre Nase gab ihr die Gewissheit. Niemals im Leben könnte sie Jaels Geruch verwechseln, geschweige denn vergessen!
„Es scheint als hätte ich heute Glück. Und er kann es endlich hören“, raunte sie in das Mikrophon und ließ lächelnd den Blick sinken.
„Das Lied ist für dich. Jael“ Ihr Blick huschte kurz in die Ecke, so sie ihn vermutete, drückte das Mikro zurück in die Halterung und die Musik begann zu spielen. Ohne Mühe fand sie ihren Einsatz und sang, in der Hoffnung, dass er nicht gehen würde, bis das Lied zu Ende war.

Jesaiah zog überrascht die Brauen hoch und lachte gleich darauf. „Jael hat den Klingelton gehört!?“, fragte sie und lachte noch lauter, wobei ihre Schultern bereits bebten. „Jael? Wirklich? Ein wenig hätte ich das ja schon gerne miterlebt. Sein Gesicht… Wobei, wahrscheinlich hat er Haltung bewahrt. Ob er mich erkannt hat?“, überlegte sie laut und lächelte amüsiert bei dem Gedanken.
„Und ja, gegenüber Damion war das mit Sicherheit die bessere Wahl. Dieser Kindskopf“ Jess verdrehte die Augen und dachte unweigerlich an ihre beiden unfreiwillig neuen Schwestern Dideldum und Dideldei.
„Wenn du dich revanchieren willst, dein Klingelton auf meinem Handy ist noch nicht personalisiert“, raunte sie und lächelte Casey an.
„Eigentlich ein Jammer, dass du dein Handy vorwiegend auf lautlos hast. Ich hoffe, du hast es wenigstens morgens wieder laut gestellt, wenn du für dich warst“

Jael hörte Charles kaum zu. Es war auch egal ob der andere gewusst hatte, wer auf sie hier warten würde, schließlich hatte er es selbst gewusst. Wenn er sich denn hätte dran erinnern wollen. Er war gerade im Begriff sich zu setzen, als Rubina die Worte noch einmal an die Menge richtete. Seine Muskeln stellten mitten in der Bewegung den Dienst ein, als er ihre Widmung hörte. Sie sprach ihn direkt an. Wusste, dass er da war. Er hätte nicht kommen dürfen, er tat ihnen nur beiden weh. Ein Lied über enttäuschte Gefühle und Hoffnungen konnte er nicht ertragen, würde er nicht ertragen! Er hatte sich schon fast dazu entschlossen zu gehen, als die ersten Töne durch den Raum hallten, gefolgt von ihrer Stimme. Wie häufig hatte er sich vorgestellt sie noch einmal zu hören, noch einmal mit ihr zu sprechen? Nie hatte er dabei diesen Kloß im Hals gehabt. Nur dieses Lied, dann würde er gehen. Geschlagen ließ er sich auf den Stuhl sinken und lauschte in erster Linie ihrer Stimme, den Text nahm er erst nur nebenbei wahr, fing aber schnell damit an aufmerksamer zu lauschen. Das war nicht die Art von Lied, die er erwartet hatte. Es ließ sich nicht mit den Gefühlen, die er ihr zugeschrieben hatte, in einklang bringen.

Casey lächelte ein wenig über Jess Ausbruch und konnte sie durchaus verstehen. Das war einer der wenigen Momente, den er in Jaels Gegenwart wirklich Spaß gehabt hatte. Und das, weil Jael wirklich versucht hatte so zu tun, als hätte er nichts gehört und wäre nicht bis auf die Knochen schockiert. Gut, in dem Moment hatte er sich selbst erschreckt, weil er keine Ahnung hatte, woher Jess Stöhnen gekommen war. Das Lächlen wurde breiter und er schüttelte den Kopf. "Ich fürchte, dass ich diesen Tonfall kaum treffen würde, das wäre peinlich für uns beide. Natürlich würde ich das gerne morgens auf Laut stellen, aber wirklich. Es ist doch etwas abtörnend, wenn das arme Mädchen neben mir durch so einen Ton aufgescheucht wird und mich sitzen lässt. Das siehst du doch sicher ein", sagte er bedauernd und schüttelte weiterhin den Kopf.

Als der Beifall einsetzte, atmete Rubina erleichtert aus. Sie konnte ihn noch riechen, das hieß, es war noch da! Lächelnd bedankte sie sich bei dem Publikum, dass sich nun lautstark für eine Zugabe aussprach. Rubys Blick wanderte wieder in die dunkle Ecke, unsicher, ob sie wirklich noch die Zugabe durchziehen sollte. Andererseits, sollte er aufstehen und gehen, konnte sie noch immer von der Bühne und hinter ihm herspringen. Diesem Gedankengang entsprechend stimmte sie also wenig später die Zugabe ein. Sie entschied sich für einen Coversong von Whitney Houston, da sie ihre eigenen Songs, mit denen sie zufrieden war, bereits gesungen hatte. Die Zugabe bestand daher immer aus irgendwelchen gecoverten Songs und dieser nun fiel ihr spontan ein. Natürlich kannte sie den Text in und auswendig, Whitney Houston war eine ihrer musikalischen Idole gewesen.
Und zu ihrem Glück kam das Lied gut. Die Menschen applaudierten, als sie fertig war und sie bedankte sich vielmals, auch bei dem Team der Bar, das ihr diesen Auftritt möglich gemacht hatte.
Rubina übergab das Mikro wieder dem jungen Mann, der sie vorhin angekündigt hatte, der nun noch ein paar Sätze sagen und den Künstler für nächste Woche bewerben würde.
Rubian nutze diese Gelegenheit, verließ die Bühne und ging in die Richtung, aus der Jaels Geruch kam.

„Vielleicht war es ja meine eigentliche Intention gewesen, deinen Damenbesuch damit aus deinem Bett zu scheuchen“, warf Jesaiah ein, die ihre Arme auf der Rückenlehne verschränkte und ihren Kopf darauf legte. Von dort aus lächelte sie zu Casey auf. Sie hatte diesen Kerl wirklich irgendwie vermisst. Er war erfrischend anders und einfach, schon nach nur wenigen Sätzen mit ihm war sie bestens amüsiert und unterhalten. Sie hoffte, dass es fairerweise wenigstens auf Gegenseitigkeit beruhte. Casey hatte zwar erzählt, dass er gewusst hatte, dass sie sich hier aufhielt, aber das bedeutete ja noch lange nicht, dass er ihretwegen hier in Rom war. Vermutlich hatte ihn irgendetwas anderes in die Stadt gelockt.
„Seit wann bist du hier in Rom? Hast du schon ein Zimmer?“, fragte Jesaiah neugierig.

Irgendwann hatte Jael sich in der Musik verloren. Oder in der Stimme. Das hätte er nicht genau sagen können. Ersrocken sprang er auf, als Rubina nicht nur von der Bühne trat, sondern auch noch direkt auf Charles und ihn zuging. Leider hatte sich auch ein nicht beträchtlicher Teil der Anwesenden diesen Moment ausgesucht um das Lokal zu verlassen und versperrten Jael den Ausgang. Wenn er nicht seine Kraft spielen lassen und die Menschen einfach aus dem Weg schieben wollte, wie Bowling Pins. Er blieb. Widerstrebend, aber er blieb. Vermutlich hätten sie sich sowieso irgendwann begegnen müssen, vielleicht wurde es ja auch einfacher, nachdem sie sich ein weiteres Mal gegenüber gestanden hatten. Wobei Jael wieder ihre letzten Worte an ihn in den Ohren hallten. Er musste sich vorsehen. Langsam wandte er sich der Vampirin zu und zwang ein Lächeln auf seine Lippen. Höflich aber nicht warm oder wiedererkennend. "Miss Attas. Eine wunderbare Vorstellung", begrüßte er sie fast eisig und nickte in Charles Richtung. "Sie erinnern sich an Charles Blackwell?"

Ah, die bösen Fragen. Sie kam schneller darauf, als er es gedacht hatte. Verschämt und etwas ertappt grinste er und richtete den Blick auf den mittlerweile nur noch roten Horizont. In wenigen Minuten würde es vollkommen dunkel sein und das Sternenzelt über ihnen erstrahlen. Damit hätte niemand von ihnen Probleme, da sie auch ohne das Licht der Sonne gut sehen konnten. "Seit ein paar Stunden. Dementsprechend, nein, ich habe tatsächlich noch kein Zimmer", antwortete er, wobei er nicht aussprach, dass er die Dauer seines Aufenthaltes tatsächlich von ihrere Reaktion abhängig machte. Wenn sie ihn nicht weiter sehen wollte, nun, in wenigen Stünden würde die nächste Maschine zurück nach London gehen.

Da war er! Rubina war sich sicher, würde sie noch ein schlagendes Herz besitzen, dann hätte es in dem Moment ausgesetzt, in dem sie Jael entdeckt hatte. Sobald sie aus dem Scheinwerferlicht auf der Bühne getreten war, war es ihr leichter gefallen, auch in dem hinteren Bereich der Bar die Menschen zu erkennen. Ruby konnte sehen, wie Jael aufsprang, als er bemerkte, dass sie auf sie zukam. Er wollte gehen, da war sie sich sicher. Umso dankbarer war sie für die Massen, die genau dasselbe vorhatten und nun den Ausgang verstopften.
Und dann war sie bei ihnen. Jaels Begrüßung erwischte sie kalt und sie sah ihn einige Sekunden lang irritiert an, ehe sie sich an Charles wandte und diesen höflich begrüßte.
„Ja, aber sehr dunkel“, antwortete sie, während der Ältere ihr seine Hand reichte, die sie freundlich annahm. „Damals war viel los und ich hatte leider kurzfristig die Stadt wieder verlassen müssen. Wir hatten, glaube ich, daher kaum die Zeit uns richtig vorzustellen. Aber es freut mich sehr, Ms Attas“ „Mich ebenfalls, Mr Blackwell“, erwiderte diese, welche mit Gedanken jedoch ganz bei Jael war, ebenso wie ihre Augen, die rasch wieder zu ihm hinüber gewandert waren.
„Ms Attas?“, wiederholte sie Jaels Worte. „Ich dachte, wir wären längst darüber hinaus uns beim Nachnamen zu nennen“, sagte sie und zog sich nebenbei die Mütze vom Kopf.

Augenblicklich wanderte Jesaiahs Brauen nach oben und ein begeisterter Ausdruck machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Nein? Na dann!“ Sie schlug sich in die eigene Handinnenfläche und nickte, als hätte sie soeben einen hervorragenden Beschluss getroffen – was sie ihrer Meinung tatsächlich getan hatte. „Du kannst bei mir schlafen. Also, nicht direkt bei mir. Eigentlich ist es Francescas Ferienwohnung. Aber sie ist zurzeit nicht hier und hat mir daher die Wohnung zur Verfügung gestellt. Sie ist wirklich klasse und wenn du mich fragst, besser als ein Hotel. Es gibt sogar eine Kühltruhe mit ausreichend Essen“, erzählte sie und sah Casey gespannt an, wobei sie hoffte, dass ihr Blick keine andere Antwort als Ja zuließ. Der Ältere hatte sie damals in einem recht desolaten Zustand erlebt – es wurde an der Zeit, dass er sie mal in ihrer Bestform kennenlernte! Außerdem, nach zwölf Jahren erfolgloser Suche nach seinem Bruder hatte er sicher ein wenig Aufmunterung nötig – Zeit wiederum für sie, sich zu revanchieren. Er hatte damals nach ihr gesehen und sie aufgemuntert und sie wollte nun das gleiche tun. Nicht unbedingt eine Kissenschlacht, aber etwas vergleichbares. Es gab hier in Rom so viele wundervolle Möglichkeiten.

Mit der Ansprache hatte er sie gekränkt, das sah er sofort, dann wiederum war es ihm allerdings auch egal. Wenn sie schon keinen räumlichen Abstand hatten, musst er für einen Ausgleich sorgen. Und es fiel ihm leichter an sie zu denken oder mit ihr zu reden, wenn dies auf streng bekanntschaftlicher Ebene geschah. "Nun, es schien mit - angebracht", erklärte Jael, ohne weiter auf das Thema einzugehen. "Wir wollen Sie auch nicht aufhalten. Die Fans warten", fuhr er immer noch kurz abgebunden fort und nickte über ihre Schulter in Richtung einiger Menschen, die tatsächlich wartend in einiger Entfernung rumstanden und unschlüssig guckten. Womit er auch schon Charles einen Blick zuwarf, der eindeutig dazu aufforderte seine Sachen zu nehmen und zu gehen.

Als Casey erleichtert aufatmete wurde ihm erst selbst klar, dass er auf dieses Angebot gewartet hatte. "Nun", antwortete er trotzdem vorsichtig um Jess nicht die Möglichkeit zu nehmen es sich doch noch anders zu überlegen. "Wenn du darauf bestehst und Francesca nichts dagegen hat. Eine andere Lösung ließe sich ganz sicher auch finden." Langsam kamen ihm Zweifel an seiner eigenen Handlungsweise. Er hatte gemeint nur einer Laune gefolgt zu sein, als er beschloss Jess zu besuchen. Mal etwas anderes zu tun, als nicht vorhandenen Hinweisen hinterher zu jagen. Und jetzt stand er plötzlich mit dem Gefühl da, dass der Griff zum Rettungsring geglückt war und er sich endlich noch eine Weile länger über Wasser würde halten können. Was Jess gegenüber nicht fair war. Sie hatte ihre eigenen Probleme. Er würde sie nicht auch noch mit seinen belasten, jedenfalls würde er versuchen ihr nicht das Gefühl zu geben, dass hinter dieser Zufallsbegegnung mehr steckte als eben die Lust sie mal wieder zu treffen. Er hoffte es würde ihm gelingen.

„Ich verstehe“, murmelte Rubina leise und nickte, als würde sie es tun. Und vielleicht tat sie das ja sogar ein wenig. Doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnten, fuhr Jael fort. „Warte, was? Nein“, rutschte es aus ihr heraus und stellte sich im nächsten Augenblick zwischen ihn und die Tür, wobei sie die Hände angehoben hatte. Im nächsten Augenblick ließ Ruby die Hände wieder sinken, trat jedoch nicht beiseite. Stattdessen drückte sie den Rücken durch und sah Jael mit festem Blick an. „Mr O’Coileáin, Sie halten mich nicht auf. Im Gegenteil. Ich würde gerne mit Ihnen reden, soweit sich das für Sie einrichten lässt“, raunte sie, während Charles nur wenige Schritte neben ihnen, seine Jacke unter den Arm genommen hatte. Neugierig sah er zwischen den zweien hin und her und hoffte, Jael würde ihr jetzt keinen Korb verpassen.

„Oh, ja, ja, ich bestehe darauf!“, antwortete Jess und tätschelte mit einem breiten Strahlen Casey Oberschenkel. „Und scheu dich ja nicht, das Angebot ruhig ein paar Tage in Anspruch zu nehmen. Ich würde mich zumindest freuen, solltest du ein paar Tage hier bleiben. Ich hatte schon ziemlich lange keine so vielversprechende Gesellschaft mehr. Und ich bin mir sicher… dir tut es auch gut“, fügte sie mit einem ehrlichen Lächeln hinzu, während sie an die erfolglose Suche nach seinem Bruder dachte.
„Also!“, fuhr sie fort und zog ihre Hand zurück. „Es gibt da ein paar Dinge, die man hier in Rom machen kann, die aber alleine einfach nicht so viel Spaß machen. Oder sie machen zu zweit eben noch mehr Spaß… Hast du heute Abend schon etwas vor?“, fragte Jess ihn mit ihrem bezauberndsten Lächeln.

Jaels Blick huschte von Rubina zu den Menschen im Raum zu Charles und schließlich zu Rubina zurück, wo seine Schultern schlussendlich geschlagen leicht hinabsanken. Er konnte keine Szene her veranstalten, wo vollkommen unbeteiligte zusahen und schon gar nicht, wenn Charles ihn ansah, als wäre er eine tickende Zeitbombe. Über Rubinas bittenden Gesichtsausdruck dachte er lieber nicht einmal nach. Trotzdem, es brauchte Zeit um sich darauf vorzubereiten und auch in aller Öffentlichkeit schien ihm kein passender Platz für eine Unterredung zu sein. "Es ließe sich einrichten", gab er widerstrebend zu ohne die Vampirin anzusehen. "Muss es hier und sofort sein, oder ließe sich dafür auch ein etwas geeigneteres Milieu finden?"

Casey lächelte und versteckte damit seine Überraschung über Jess treffende Analyse. Dass ihre Worte vorher klangen als hätte sie vor ihn auszunutzen, nun, damit konnte er leben, schließlich suchte er ihre Nähe ja auch nicht aus ganz altruistischen Gründen. "Nun", antwortete er vorsichtig und suchte in der Mimik seiner Gesprächspartnerin nach einem Hinweis woran sie dachte. "Das kommt ein bisschen darauf an, was du noch vor hast. Mir fallen da auch einige Sachen ein, die man in Rom besser nur zu zweit macht. Allerdings bin ich für einen Großteil der Sachen nicht richtig gekleidet oder habe das falsche visuelle Alter." Bedauernd grinste er und zuckte leicht die Schultern. Wie oft war er schon ausgeschlossen worden, weil Sterbliche in ihm eben wirklich nur das Kind sahen. Auch ein Grund, weswegen so viele seine Gesellschaft nicht auf Dauer suchten. Solange man sich im unauffälligen Rahmen bewegen wollte, war er recht eingeschränkt. Manchmal wünschte er sich die Zeitalter zurück, in denen die Kindheit noch nicht erfunden war und Menschen schneller zu den Erwachsenen gehörten.

Wow. So begeistert wie Jael von ihrem Vorschlag schien, erwartete sie beinahe schon so einen Zusatz wie ‚Wenn es denn sein muss‘. Aber was beschwerte sie sich auch (gedanklich)? Sie hatte ja nicht damit gerechnet, dass er sich sonderlich freuen würde, sie zu sehen. Nicht nach allem was sie getan und gesagt hatte. Nein, dass hier versprach nicht wirklich einfach zu werden, jedoch war Rubina fest entschlossen zu kämpfen. So schnell würde sie sich nicht verjagen lassen, da konnte Jael noch so distanziert und kühl zu ihr sein.
„Gegen letzteres hätte ich keine Einwände. Bestimmt einen Ort, den Sie für geeignet halten, ich werde damit einverstanden sein. Allerdings müsste ich vielleicht vorher ein paar Dinge hinter der Bühne zusammenpacken. Doch davon abgesehen hätte ich den ganzen Abend Zeit“, antwortete sie.

„Oh, keine Sorge, das, was ich im Kopf habe, da spielt das Alter keine Rolle. Nur auf den Wein wirst du vermutlich verzichten müssen. Aber das wäre auch alles… Nur… Vielleicht kann es wirklich nicht schaden, wenn du dich umziehst. Und ich“, antwortete Jesaiah, die mit nachdenklichem Blick an sich herunter sah. „Ja, machen wir es so!“ Enthusiastisch stand sie auf und lächelte Casey an. „Dann zeig ich dir erst einmal Francescas Wohnung, laden dort dein Gepäck ab und ziehen uns um. Wo ist dein Gepäck?“, fragte sie neugierig.

Noch heute Abend? Jael wäre es lieber gewesen, wenn sie sich für einen Zeitpunkt in weiter Ferne verabredet hätten, aber er sah auch ein, dass es wohl besser wäre es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Je schneller sie ihre zurechtgelegten Worte loswerden konnte, desto schneller könnten sie beide wieder zur Tagesordnung über gehen und versuchen so zu tun, als wäre nichts weiter passiert. Hoffentlich hatte sie nicht noch ein paar mehr solcher Nettigkeiten, wie er sie vor 12 Jahren sich hatte anhören müssen. Schicksalsergeben nickte er und nannte ihr die Adresse des Londoner Clanes, sowie wie sie zu seinem Büro finden konnte, sollte niemand da sein, der ihr den Weg zeigen könnte. "Niemand wird Sie aufhalten, wenn Sie meinen Namen nennen. Passt es in zwei Stunden oder ist das zu früh?", schloss er seine Ausführungen, wobei er es nur so gerade eben schaffte nicht zu klingen, als wäre es ihm lästig.

Verschämt lachte Casey aus und breitete mit einem Schulterzucken die Arme leicht aus. Als Jess nicht aussah als würde sie verstehen was er meinte seufzte er leise. "Ich hab kein Gepäck dabei", sagte er und verschluckte das: 'ich wusste ja nicht, ob ich tatsächlich bleiben würde, ob du mich tatsächlich sehen wolltest'. Das wäre dann wohl doch etwas zu viel gewesen, vor allem, wo er sich doch gerade noch gesagt hatte, dass er sie nicht mehr als nötig mit seinem emotionalen Gepäck belastete. "Zu meiner Verteidigung hatte ich auch nicht erwartet, dass ich hier direkt in irgendwelche gesellschaftlichen Planungen miteinbezogen werde, bei der formelle Kleidung nötig wäre. Wenn es dir so wichtig ist, können wir das ja vielleicht auf morgen verschieben? Dann kann ich sehen, ob ich etwas passenderes finde. Wobei ich dann wissen müsste, welches passend dir da vorschwebt", versuchte er sich zu entschuldigen und zuckte wieder, mit einem verschämten Grinsen, die Schulter. Soviel zu seinem Versuch für alle Möglichkeiten offen zu sein.

In zwei Stunden erst!? Rubina hatte so ziemlich die gegenteiligen Gedanken von Jael. Für sie hätte das Gespräch ruhig jetzt sein können. Und der Grund, warum sie das Gespräch so bald wie möglich führen wollte, war nicht jener, um es dementsprechend auch schnell hinter sich gebracht zu haben, es war einfach… weil sie nicht mehr warten wollte. Dass sie sich entschuldigte, was längst überfällig. Ebenso wie es endlich Zeit wurde, dass sie um Jael kämpfte.
„Nein. Ist es nicht. In zwei Stunden. Perfekt. Dann wünsche ich beiden Herren bis dahin noch einen angenehmen Abend. Mr. Blackwell“, Rubina nickte Charles zum Abschied zu. „Mr. O’Coileáin“ Sie sah Jael lächelnd an und nickte auch ihm zu. „Bis in zwei Stunden“
Damit wandte sie sich schwerenherzens um, auf die Fans zu, die sich hinter ihnen mit etwas Abstand angesammelt hatten.
Charles trat räuspernd an Jaels Seite und nickte in Richtung des Ausgangs, der nicht länger von Menschen verstopft war. „Ich hoffe, du bereust es noch nicht ganz, hier her gekommen zu sein…“, wandte er sich an den Jüngeren.

Der Unglauben stand noch immer auf Jesaiahs Gesicht. Wie kann man nur ganz ohne Gepäck reisen!? Sie hätte ja verstanden, wenn Casey keinen Koffer oder große Reisetasche bei sich gehabt hatte…aber so gar nichts, außer dem, was er an seinem Körper trug!? Das war geradezu…minimalistisch! Blinzelnd starrte Jess den Älteren noch immer kritisch an, während sie sich überlegte, wie sie am besten vorgehen sollte. Und wer ihr dabei helfen konnte.
„In Ordnung! Schon gut, du hast nichts, das kann man ändern!“, raunte Jess schließlich, klatschte entschlossen in die Hände, mit einer Miene, die sagte ‚Herausforderung angenommen‘, und holte ihr Handy hervor. Sie wischte ein paar Mal über das Display und dann hielt sie es sich auch schon ans Ohr. „Paolo! Buonasera! Entschuldige, dass ich dich störe, aber ich müsste ganz dringend noch ein paar Klamotten einkaufen gehen. Ist deine Boutique noch offen?... Mhm. Ja…. Sehr gut! Hab vielen Dank, Paolo! Wir werden in zehn Minuten spätestens bei dir sein! Bis gleich, ciao!“
Jess legte auf und lächelte Casey an. „Wir beide gehen jetzt shoppen! Wie heißt es so schön, was du heute kannst besorgen, dass verschiebe nicht auf morgen!“, raunte sie grinsend und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, von der Bank herunterzukommen und ihr zu folgen.

Der Blick, den Jael seinem Begleiter zuwarf war undeutbar. Die Gedanken die hinter seiner Stirn abliefen waren auch nicht sonderlich einfach zu deuten, selbst für ihn selbst nicht. Über die Begegnung hatte er sich nicht wirklich gefreut. Sie hatte so viel wieder aufgerissen, mit dem er lange abgeschlossen hatte, nur um jetzt festzustellen, dass er gar nicht abgeschlossen hatte. Dafür war er viel zu schnell wieder in Rubinas Anziehung gefangen gewesen und es hatte ihn alle Mühe gekostet nicht nachzugeben. Und jetzt hatte er zwei kurze Stunden um sich zu sammeln und auf die weitere Begegnung vorzubereiten, die weiß Gott welche Prüfungen für ihn bereithalten würde. Nein, es war keine gute Idee gewesen ausgerechnet heute nachzugeben und hierher zu kommen. Bereuen tat er es allerdings (oder leider) auch nicht, vermutlich noch nicht. Zweifelnd wandte sein Blick sich Rubinas Rücken zu, ehe er sich ohne dem älteren eine Antwort zu geben der Tür zuwandte. Er musste hier raus.

Ehe Casey verstanden hatte, worauf Jess hinaus wollte, war sie schon am Telefon und dann war es auch schon zu spät um zu protestieren. Also wartete er geduldig, bis Jess fertig war und ihn dazu aufforderte ihm zu folgen. Irgendwie fühlte er sich plötzlich müde, alt. Was etwas eher neues für ihn war. Seufzend, mehr auf sich selbst bezogen, schüttelte er leicht den Kopf. "Wirklich. Es sind nur Kleider. Ich bezweifle, dass das was du vorhast nur heute geht. Niemand hätte deswegen jetzt gescheucht werden müssen", sagte er ihr und wusste, dass er gerade einigermaßen unhöflich war, wo sie sich die Mühe gab, nur konnte er gerade nicht anders, obwohl er wollte. Er wollte auch ihrer Aufforderung folgen, schaffte es aber nicht seine Gliedmaßen dazu zu bringen aufzustehen.

Keine Antwort war besser als eine übellaunige. Charles folgte dem Jüngeren nach draußen und ging dort eine Weile neben ihm schweigend her. Von der Seite betrachtet, schien es, als würde einiges in Jaels Kopf umhergehen. Nur zu verständlich, nach diesem Auftakt des Abends.
„Ich hoffe, du urteilst über den Abend und die Bar erst nach dem Gespräch mit ihr“
Charles dachte daran, dass sie beide sich nicht so unähnlich waren. Zumindest nicht, was ihre Vergangenheit anging. Sie beide waren in einer vollkommen anderen Zeit aufgewachsen, haben wundervolle Frauen geheiratet und diese leider verloren. Charles zudem hatte auch seine Tochter verloren. Und es hatte ihn Jahrzehnte gekostet, um zu lernen, mit dem Schmerz zu leben. Es war schwierig gewesen, sich wieder für andere zu interessieren und glücklich zu sein. Und ja, er musste zugeben, er hatte in den letzten 50, 60 Jahren ein paar Mal überlegt, was sein ewiges Leben überhaupt noch lebenswert machte.

„Das stimmt. Wir hätten auch morgen die Klamotten kaufen können. Aber der Abend ist jung und wieso das nicht ausnutzen? Mal zur Abwechslung so tun, als hätten wir nicht alle Zeit der Welt. Ist doch eigentlich eine spannende Abwechslung. Wenn man sich darauf einlässt“, wandte Jesaiah ein und schenkte Casey ein mysteriöses Lächeln. „Außerdem wird Paolo es mir verzeihen. Spätestens wenn ich ihn um ein paar Klamotten erleichtere und dafür bezahlt habe. Und Geld verdient er gerne zu jeder Zeit“, fügte sie hinzu und streckte nun auffordernd ihre Hand nach seiner aus.
„Komm schon. Ich weiß, Shopping gehört nicht gerade zu den Lieblingsbeschäftigungen der Männer, aber ich brauche auch etwas neues. Du könntest mir beim Ausziehen helfen. Und etwas zum Anprobieren heraussuchen. Egal was“, sagte sie und schmunzelte. Eigentlich würde sie keine Hilfe beim Ausziehen brauchen, denn sie hatte nicht wirklich etwas ‚anspruchsvolles‘ an. Ganz im Gegenteil, sie trug im Verhältnis eher legere, einfache Kleidung, Jeans, ein Shirt, sogar einfache Sneackers. Sie war eben im Urlaub gewesen.

Jael schluckte die erste Reaktion, die definitiv ungehalten und unhöflich ausgefallen wäre. Wie gut, dass er eh nicht dazu neigte unüberlegt zu Handeln, so konnte er sich einige Freunde und Bekannte über die Jahre erhalten, die selbst nicht immer ganz einfach waren. "Ich weiß nicht, ob ich überhaupt Urteilen soll. Oder worüber", antwortete er schließlich und warf Charles einen Blick zu, der schon fast einer Entschuldigung gleich kam. Der ältere Vampir hatte sich in den letzten Jahren tatsächlich bemüht ihn, Jael, in Gesellschaft zu halten, ohne das dieser hätte sagen können, weswegen er sich die Mühe überhaupt machte. Sogar Casey hatte sich irgendwann enttäuscht, vielleicht auch verärgert, abgewandt und sich wieder seinen eigenen Problemen zugewandt. Was Jael ihm nicht übel nahm. Dadurch verwunderte es ihn allerdings nur mehr, was Charles sich erhoffte oder was er vor hatte, wo ihn doch nichts dazu verpflichtete sich überhaupt mit dem Jüngeren abzugeben. Er sollte sich mehr bemühen auch die nötige Dankbarkeit zu zeigen. Jael unterdrückte ein Seufzen und sagte: "Danke Charles, ich weiß deine Mühen zu schätzen." Er verschluckte gerade noch Rechtzeitig einen Kommentar, der als 'danke, aber nein danke' interpretiert werden konnte, was wiederum unhöflich gewesen wäre.

Er musste Schmunzeln, es ging gar nicht anders, wenn Jess so vor ihm stand und die ganzen Vorzüge des Shoppingausfluges darlegte. Wobei es ihn nicht einmal am Meisten reizte ihr beim Ausziehen behilflich zu sein. Bei den Kleidern, die sie trug, war ihm durchaus klar, dass sie dabei keinerlei Hilfe benötigen würde. Schwerfällig, als würde er sein Alter tatsächlich spüren, griff er nach Jess' Hand und ließ sich auf die Füße helfen. "Nagut. Wie könnte ich dieser geballten Macht an Argumenten auch widersprechen. Oder auch nur vagen ihnen zu widersprechen. Was du allerdings nicht glauben solltest, ist dass ich dich deswegen zahlen lassen werde. Ich bin durchaus in der Lage mit mein eigenes Leben zu finanzieren, egal wie gerne ich als Vagabung durch die Weltgeschichte ziehe", antwortete er und klang schon viel lockerer und auch wieder mehr nach sich selbst.

„Wirklich?“, gab Charles zurück und lächelte matte. Er hatte nicht das Gefühl, dass Jael es zu schätzen wusste. Womöglich noch nicht. Nicht unbedingt jetzt in diesem Augenblick, da Charles ihn mit der Person in einen Raum gebracht hatte, die er womöglich am wenigsten hatte sehen wollen. „Nun, ich hoffe nur auf das Beste. Und ich wünsche dir auch nur das Beste. Ich bin mir nur nicht sicher, ob du sie in der Arbeit findest, in die du dich jeden Tag aufs Neue stürzt…“ Charles blinzelte und sah Jaels von der Seite an. „Macht dich das glücklich? Warst du…die letzten Jahre glücklich? Weil… ich bin ehrlich, ich tu mich schwer damit, etwas zu finden, was mich glücklich macht. Egal, wo ich bin“

Lächelnd zog Jess den Älteren hoch und behielt seine Hand auch dann noch in der Hand, nachdem dieser von der Bank hinunter getreten war. „Oh, nein, da habe ich nichts einzuwenden. Du darfst ruhig für die Kleidung zahlen, nur… nicht mit Geld. Ich würde es vorziehen, wenn du mir vielleicht noch ein paar Antworten auf Fragen geben könntest. Oder wenigstens meine Fragen ehrlich mit Ja oder Nein beantwortest. Weißt du, ich frage mich ja immer noch, wie dein eigentlicher Vorname lautet. Du erinnerst dich an unser Gespräch, vor zwölf Jahren? Ich hatte geschworen, es irgendwann herauszufinden. Und ich habe sehr lange recherchiert, nach sämtlichen Namen, die es damals gegeben hat. Witzigerweise-“ Jess winkte mit dem kleinen schwarzen Buch in ihrer anderen Hand. Inzwischen waren sie bereits ein Stück gegangen, wobei sie noch immer mit ihm Händchen hielt. Es nicht so, als würde es ihr nicht auffallen, dass sie es tat, denn es fiel ihr auf – nur es störte sie allerdings nicht. „Habe ich zufällig die Liste mit den Namen dabei“

Ehe Jael sich überlegen konnte, was er tun sollte, da hatte er auch reagiert und das auf eine nicht nette Art. Er fauchte Charles ziemlich ungehalten an. Man sah förmlich, als ihm seine Manieren wieder einfielen und er sich unter Auferbietung aller seiner Kräfte zusammenriss. "Ich bin zufrieden", erwiderte der Jüngere kühl und beherrscht. Niemand, der ihn gerade ansehen würde, hätte sich auf irgendeine Weise einreden können, dass er menschlich war. Seine Bewegungen waren viel zu abrupt und mechanisch, als das es mit menschlichen Muskeln möglich gewesen wäre. Es dauerte ungefähr zwei Minuten, bis die Worte aus Charles Mund bei ihm im Kopf tatsächlich ankamen. Verwundert, aus seiner Wut gerissen, sah er Charles von der Seite an. "Wie schaffst du es jeden Abend aufzustehen?", fragte er vor den Kopf gestoßen. Normalerweise wäre er auch nicht so offen gewesen und so weit in Charles Privatsphäre eingedrungen. Aber er schätzte den älteren und würde es schade finden, sollte dieser sich dazu entscheiden, dass er zu viele Jahre erlebt hatte.

Casey merkte es durchaus, dass Jess seine Hand nicht losließ. Es gefiel ihm, es gab ihm halt. Er hielt selbst fest. Er wusste nur nicht, wie er mit ihrer Frage umgehen sollte. Immerhin hatte er wirklich vergessen, dass sie sich so für seinen Namen interessierte. Nein, falsch. Er hatte ihre Neugierde unterschätzt. Dass sie so daran interessiert war, das überraschte ihn. "Nun. Ein ehrliches Ja oder Nein würde ich wohl hinbekommen", antwortete er etwas unsicher. "Ich versteh nur nicht, wieso dir Casey nicht reicht. Niemand fragt nach den richtigen Namen", fügte er spontan hinzu und sah sie leicht prüfend an.

Charles war sich nicht sofort dessen Bewusst, wie nah er Jael getreten war. Zu nahe. Doch bevor er sich entschuldigen konnte, fauchte der Jüngere ihn auch schon an. Das hatte er davon, wenn er zu sehr seinen Gedanken nachging. Mit einem ehrlich schuldbewussten Blick sah er den anderen an.
„Es tut mir Leid. Ich hätte das nicht sagen sollen“, sagte er, unmittelbar nach Jaels nachfolgender verbalen Antwort auf die Frage und wandte seufzend den Blick wieder ab.
„Ich weiß es nicht. Und ich weiß es schon eine ganze Weile nicht mehr…“, antwortete Charles ihm nach ein paar Minuten des Schweigens. „Vielleicht die Hoffnung, irgendetwas zu finden, dass mich…hält. Stattdessen denke ich immer öfters an meine Frau und meine Tochter“ Er rieb sich mit den Fingern über die Stirn und starrte mit seinen blauen Augen zu Boden.
„Ich bin mir nicht sicher, inwiefern diese Zeit… meine Zeit sein kann. Jeder Fortschritt lässt mich die Vergangenheit nur noch mehr zurückwünschen“

„So ist es“, stimmte Jesaiah ihm unumwunden zu. „Nur… ich bin nicht Niemand. Ich kenne gerne die richtigen Namen meiner Freunde“ Sie zuckte mit den Schultern, als wäre ihre Ansicht im Grunde die einzige plausible und logischste auf der Welt. Dabei sah sie gerade aus, blickte auf die Straßennamen und überlegte sich im Kopf, wie sie am schnellsten zu Paolos Laden kamen.
„Keine Sorge. Ich frage dich nicht jetzt. Es ist ja ohnehin die Bezahlung für die Klamotten, die wir dir erst heraussuchen müssen. Also… damit kann ich auch bis morgen warten. Und nein, ich werde es ganz sicher nicht bis morgen vergessen haben, falls du das hoffst“, fügte sie lachend hinzu und sah ihn wieder von der Seite an.
„Du kannst mich übrigens auch irgendwelche Sachen fragen. Auch wenn es da wohl kaum noch groß etwas gibt, was du nicht weißt, schätze ich“ Sie lächelte schief, wobei man ihr nicht genau ansehen konnte, ob sie das gut oder schlecht fand.

Victoria las ungefähr zum gefühlt 100. Mal denselben Absatz, was sie so verärgerte, dass sie sich ihn noch viel weniger merken konnte. Und das alles nur, weil dieses Pärchen schräg gegenüber von ihrem Tisch äußerst ablenkend war. Sie saßen in einer Nische, die eigentlich vor Blicken gut geschützt war, nur eben nicht von dort aus, wo Victoria saß. Und das, was sie beiden da trieben, war wie ein Unfall, es war schwer, nicht hin zu sehen, nur um sich zu vergewissern, dass man es sich nicht eingebildet hatte. Mit abschätzigen Blick sah Vic also schon wieder zu ihnen hinüber und klappte das Buch zu. Sie gab sich hierbei nicht die Mühe, in irgendeinerweise zu verbergen, dass sie sie anstarrte. Dieses Pärchen gab sich ja auch keine Mühe, ihre Handlungen zu verbergen. Und dann konnte sie sehen, dass hinter dem Kerl weitere Hände und schließlich noch eine Frau auftauchte, die zuvor im Schatten gewesen war. Zwei Frauen. Er hatte da tatsächlich zwei Frauen bei sich sitzen. Und so wie sie aussahen wohl auch noch Zwillinge. Der Kerl widerte sie jetzt schon an.

Es war nicht schwer zu erraten, welchen Gedanken Charles nachhing. Davon gab es viele Vampire und die meisten schafften es nicht sich davon zu lösen. Den einen oder anderen Freund hatte er auf diese Weise schon verloren. Er konnte nicht ausgerechnet jetzt in dieser Zeit noch einen verloren. Einem Impuls folgend griff er nach Charles Arm und umfasste seinen Ellenbogen. Er verstand den Älteren, er hatte nur keine Ahnung, wie er das in Worte fassen sollte. Schließlich ließ er den Ellenbogen wieder los und sagte gar nichts.

Stimmt, sie war nicht Niemand, darauf konnten sie sich einigen. Alles andere, naja, er wusste nicht, weswegen es ihm nicht unangenehm war. "Okay", versuchte er das Thema zu wechseln. "Wir suchen und Kleidung. Ich nehme an, dass es was vornehmere sein muss, weil leger bin ich ja schon gekleidet. Was machen wir danach? Du wirst ja sicher nicht Klamottenshoppen gehen um mich dann in Francescas Wohnung zu schleppen und mich nach Namen auszufragen." Jedenfalls hoffte er, dass sie das nicht vorhatte.

Natürlich war es Damion aufgefallen, dass sie Publikum hatten. Das spornte ihn auch dazu an, etwas offensiver vorzugehen, als er es normalerweise in so öffentlichen Rahmen getan hätte. Jolánka quietschte leise und schlug Damion fest auf den Kopf, als seine Zähne ihren Hals ritzten und flüchtete sich in die Arme ihrer Schwester. "Nie, nie kannst du dich auch nur irgendwie zusammenreißen. Átkozott Damion! Sei doch auch mal ein Mann und nicht nur ein Tier!", pfiff sie ihn zusammen und auch Sárika funkelte ihn wütend kopfnickend an. Ihren Hals hätten auch schon Knutschflecken geziert, wenn sie denn ein Mensch gewesen wäre.

Obwohl Jael nichts sagte, verstand Charles genug. Dankbar lächelte er den Jüngeren an und legte seine Hand kurz auf seine Schulter. Nach einem Augenblick nahm er sie wieder herunter und blickte erneut geradeaus auf den Weg. In manchen erinnerte Jael ihn an ihn selbst. Vielleicht wollte er deswegen so sehr, dass der Jünger wieder etwas fand, dass ihn glücklich machte. Damit dieser sich nicht so leer fühlte, wie er es jetzt tat. Und auch wenn er damals nicht lange in LA gewesen war, so hatte er doch das Gefühl gehabt, dass Rubina und Jael sich gegenseitig für eine kleine Zeit sehr glücklich gemacht hatten.

„Auf alle Fälle kann ein Anzug nicht schaden. Ich liebe Anzüge. Und vielleicht etwas… für dazwischen. Leger schick. Nicht zu verachten und auch äußerst wichtig“ Und noch ein, zwei andere Outfits konnten nicht schaden, dachte Jess. Das, was Casey trug, war natürlich auch in Ordnung, nur… er musste nicht zwingend ständig wie ein normaler Durchschnitts-Teenager herumlaufen. Denn Durchschnitt war Casey ganz und gar nicht. Und ein Teenager auch nicht, nicht geistig.
„Hm. Ich denke, wir sollten die Tüten erst einmal in die Wohnung bringen. Uns umziehen. Und dann…machen wir das, was ich vorhin im Kopf hatte. Spaß haben, natürlich. Auf Italienische Art. Wie gesagt, die Namen werde ich dich erst morgen ausfragen“, antwortete Jess ihm zwinkernd.

Zufrieden zuckten Victorias Mundwinkel nach oben. Oh, das eben hatte sie durchaus genossen, mitanzusehen. Ihretwegen hätte die Frau ruhig noch ein, zweimal zuschlagen können. Und etwas fester. Aber leider war ihr das Glück nicht vergönnt. Noch nicht. Vielleicht wenn sie noch etwas abwartete? Beide Frauen schienen zumindest gerade nicht mehr allzu sehr in Laune, über den Mann herzufallen. Victoria legte den Kopf leicht zur Seite, kniff die Augen unmerklich zusammen und fragte sich, ob sie den Kerl schon mal irgendwo gesehen hatte. Eines konnte sie auf alle Fälle ausschließen: Sie hatte ihn nicht in ihrem Bett gesehen. Kerle wie ihn kamen nicht sonderlich weit bei ihr. Meistens nicht weiter als ‚Hallo‘ und ‚Wie heißt du?‘.

Das Gefühl Charles geholfen zu haben, stellte sich nicht ein. Allerdings musste Jael sich eingstehen gab es dafür ja auch keinen wirklichen Grund. Er konnte nicht einmal sagen, dass er übermäßig Einfluss auf den Älteren in irgendeiner Hinsicht hatte oder das Recht Einfluss auf ihn nehmen zu wollen. Einen kurzen Moment überlegte er, ob es angebracht wäre sich mit Jesaiah in Verbindung zu setzen. Der Gedanke missfiel ihm sehr, wo er sich doch gerne so weit wie möglich von ihr, Damion und im Endeffekt Rubina forthalten wollte. Außerdem, stellte er erleichtert fest, hatte er auch keine moralische Grundlage dieses zu tun. Es war Charles Leben und somit oblag es auch ihm seine Entscheidungen zu treffen. Seine Erschafferin zu rufen, war eine Entscheidung, die nur er treffen konnte oder sollte. Der Gedanke munterte Jael allerdings nicht sonderlich auf, enthielt er doch die Möglichkeit, dass sein Freund sich eben nicht würde helfen lassen. Vielleicht sollte er in Erwägung ziehen das Land zu verlassen, irgendwo unbekannt ganz neu anzufangen. Andererseits, wenn er seine Arbeit nicht hatte, was blieb ihm dann noch?

"Wieso", fragte Casey mit einem Schmunzeln und sah Jess von der Seite aus an, "bekomme ich gerade das Gefühl zu einer Ankleidepuppe mutiert zu sein? Ein Anzug, ein Outfit? Als nächstes fällt dir noch ein, dass ich auch noch ein kleines Schwarzes für alle Gelegenheiten brauche. Vermutlich liegt es an der Wortwahl: Tüten. Korrigiere mich, aber eine Hose und ein Jacket bekommt man doch sicher auch in eine Tüte." Danach fragen, was sie unter Spaß auf italienische Art verstand, kam er gar nicht. Gewagt hätte er es sicherlich, aber es war doch auch reizvoll sich überraschen zu lassen. Sie würde wohl kaum Damions Beispiel folgen und ihn zu einer Orgie schleppen (was sicher auch seinen Reiz hätte), ganz zu schweigen davon, dass er sich ziemlich sicher war, das diese Art von Spaß seit einigen Jahrhunderten aus der Mode war.

Während Jael und Charles wieder bei dem Londoner Clan ankamen und eher trübe Gedanken hatten, ging es Jesaiah in Rom ganz anders. Diese strich sich das blonde Haar zurück, dass sie sich in den letzten Jahre etwas gestutzt hatte und lächelte. „Natürlich spreche ich von TütEN. Eine für deine Sachen und eine für meine. Ich sagte doch, dass ich auch etwas Neues gebrauchen kann. Mein Angebot, dass du mir dabei helfen kannst, war durchaus ernst gemeint“, antwortete Jess dem Älteren und zwinkerte. Sie gingen noch ein paar Minuten, dann standen sie endlich vor der Boutique, wo Paolo bereits auf sie wartete.
„Ciao!“, begrüßte er sie, umarmte Jess herzlich und gab ihr rechts und links ein Küsschen.
„Das nächste Mal würde ich mich freuen, wenn du dich etwas früher meldest, Schätzchen“, raunte er und wandte sich dann Casey zu. „Und du bist sicher einer der schnuckligen Freunde von Jess. Freut mich sehr! Ich bin Paolo!“, raunte dieser mit einem nicht überhörbaren italienischen Akzent und drückte den Kleineren auch schon an sich. Bevor er ihm allerdings den ersten Kuss geben konnte, zog Jess ihn dezent von Casey weg. „Ein bisschen zu überschwänglich“, raunte sie. „Du verschreckst Casey noch bevor er auch nur einen Fuß in deine Boutique gesetzt hat“
„Wieso denn? Ach, du bist so eine Spaßbremse“, seufzte Paolo und fischte aus seiner hautengen Hose einen Schlüssel. „Ich schließe euch auf und du rufst mich an, wenn ich die Boutique wieder schließen kann, alles klar?“
„Sicher, vielen Dank!“ Jess drückte ihn noch einmal, lächelte Casey dann gut gelaunt an und zog ihn als nächstes auch schon mit sich in die Boutique, nachdem Paolo ihnen die Tür geöffnet hatte.